Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Erinnerung an schulfernen Studieneifer

ape. Dieser Tage war ich mal wieder am Bücherregal hängengeblieben. Absichtslos, zufällig, versonnen. Genauer: Ich dachte mich fest vor der Abteilung mit Klassikerschwarten zur politischen Theorie, Philosophie, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Meterweise Kluges wie auch Allzu-Kluges, zugleich Bücher, die Erinnerungsschlüssel ans eigene Dunnemals sind. Ein Menge davon kam zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr auf mich und über mich; selbst gekauft, in Frankfurt auf der Messe mitgehen lassen, geschenkt bekommen, bei WG-Auflösungen geerbt. Der Kernbestand steht da noch. Das in den Erinnerungsmodus gefallene Hirn ergänzt gedanklich, was schon auf dem Dachboden in Kisten lagert oder im Laufe der Jahrzehnte verloren ging.

Himmel hilf! Was nur hat dich in so jungen Jahren getrieben, dich mit all dem zu beschäftigen, nicht selten auch in schierer Verzweiflung herumzuplagen? Marx, Hegel, Kant quasi als roter Studienfaden über gut vier Jugendjahre. Dazu quergelesen Bloch, Lukács, Marcuse, Sartre, Beauvoir, Luxemburg, Lenin, Franz Mehring, Freud, C.G. Jung etc.pp. Plus Einführungs- und Überblicksbände zu Astronomie, Genetik und Medizingeschichte, zu Erd-, Menschheits-, Technik- und Revolutionsgeschichte, zu Literatur-, Kunst- und Musikgeschichte … Kaum die Hälfte verstanden, aber alles gefressen – obwohl ich zugleich keine Fete, kein Gelage und kaum eine Liebelei ausließ, obendrein bei fast allen Protestbewegung jener Zeit mittemang dabei war.

Unpraktisch, dass all diese Interessensgebiete partout nicht mit dem jeweiligen Lernstoff meiner Gymnasien zusammenpassen wollten. Weshalb ich ab der 9. Klasse zum renitenten Viel- und Besserwisser wurde – mit grottenschlechten Schulnoten. Welche Schnapsidee aber trieb den Burschen, sich freiwillig eine Art privates, schulfernes Studium Generale aufzuhalsen? Im Grunde war es ein romantischer, letztlich völlig weltfremder Traum oder Wahn: In meinem Sturm-und-Drang-Kopf hatte sich das alte Ideal vom Universalgelehrten eingenistet. So einer wollte ich werden und als solcher die Welt revolutionieren. Eine naive Ambition, begriff ich erst später, als klar wurde, dass ich auf den allermeisten Fachgebieten heutzutage über simple Anfangsstadien nicht hinauskommen würde – und obendrein die wilde, anstrengende, schlafarme Jugendzeit mit einer ersten großen Müdigkeit zu Ende ging.

Bedauern heute über vergeblich vertane Zeit? I wo, nicht die Spur. Denn diese Jugendjahre waren auf ihre Art für Hirn, Herz und Leib ein unglaubliches Abenteuer – von dem ich noch immer zehre.

Andreas Pecht

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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