Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Hey Digitals, auch ihr werdet mal alt („Quergedanken“)

Monatskolumne Nr. 213, April 2023

„Wir treffen uns heute in zwei Wochen zur selben Zeit wieder hier.“ So sehen Verabredungen zwischen Freund Walter und mir oft aus. Es gilt das Prinzip: Man meldet sich zwischendurch nur, wenn einer unerwartet nicht kann. Ansonsten steht die Verabredung felsenfest, bedarf keiner weiteren Bestätigung. Unter Digitals, so höre ich, sei mittlerweile eher üblich: Während besagter zwei Wochen etliche Terminvergewisserungen austauschen. Am Tag selbst käme noch die spannende Mitteilung: „Bin jetzt unterwegs.“ Unnützes Blabla. Verstehe ich nicht; muss ich auch nicht.

Walter und ich sind zwar keine Digitalhasser, aber auch keine blinden Technik-Enthusiasten. Wir haben die besten Zeiten, wenn fast gar keine Technik im Spiel ist: in der Natur und im Wirtshaus. Weshalb uns manche aus der Totalvernetzung erwachsene Sitte/Unsitte fremd bleibt. Gleichwohl schauen wir hin, was sich auf diesem Felde tut: Walter testet vieles am PC und auf seinem unlängst widerwillig angeschafften Smartphone. Darob kriegt er oft Nackenschmerzen vom vielen Kopfschütteln. Ich hingegen beobachte, wie sich diverse Arten der Digitalisierung im Alltag auswirken.

Ein Beispiel für viele; am Parkscheinautomat: Da Barzahlung meist nicht mehr möglich, stehen (nicht nur) Senioren verunsichert vor der Maschine; Ticket in der einen Hand, EC-Karte in der anderen. Was wo reinstecken oder scannen? In welcher Reihenfolge? PIN eingeben – trotz steifen Rückens in gebückter Haltung per kleinen Tasten in einer oft dunklen Nische des Apparats. Falscher Schlitz, zittrige Hände, Taste verfehlt, in der Aufregung Handtasche runtergefallen, Zahlendreher bei Eingabe, Funktionsstörung ….

„Bezahl halt kontaktlos mit dem Smartphone!“, granteln ungeduldig die ins Internetzeitalter hineingeborenen oder hineingewachsenen Digitals. Das sind Leute, die dauer-online leben, auf ihren Smartphones in affenartigem Tempo Botschaften schreiben und mit Dutzenden Apps herumjonglieren. Gewiss, manches kann man im Alter noch lernen. Doch es bleiben biologische Altersgrenzen, die jüngere Digitals, seien es Nutzer oder Entwickler, völlig ausblenden: steife/zittrige Finger, schlechteres Sehen, langsameres Denken und Tun, Ängste wegen der Flut an Werbetricks und Betrügerei im Netz, Verunsicherung angesichts ständig neuer Reaktionsforderungen seitens der Handys (akzeptieren, ablehnen, updaten, downloaden) usw.usf.

Wenn man 60 ist, kann man das noch hinkriegen. Mit 70 setzt der alternde Körper bereits einige Einschränkungen, die sich bis zum 80. vervielfachen – bei Gerätschaften und Strukturen, die auf flotte Vollfunktionsfähigkeit von Gliedern, Sinnen, Hirn bauen. Ja, ich weiß: Es liegt meist außerhalb des jüngeren Vorstellungsvermögens oder Interesses, was im Alter für Handicaps auftauchen können.

Ein Digitalfreak will beruhigen: „In 10 Jahren funktioniert sowieso alles über Sprachsteuerung. Und in 20 Jahren lenkt man seine Technik nur noch mit Gedanken.“ Walter lacht sich krumm: „Das wird lustig – mit Menschen, denen zuvor per multimedialer Unterhaltungs- und Infoschwemme konzentriertes Denken ausgetrieben worden ist. Die Künstliche Intelligenz (KI) will ich sehen, die aus solch sprunghaftem Hirnkauderwelsch – dann auch noch in Verbindung mit altersbedingten Unpässlichkeiten der Synapsen – klare Handlungsanweisungen ableiten könnte.“ Tja, dann werden die KIs wohl das Regiment über die Lebensgestaltung ihrer Klienten vollends in die eigene Hand nehmen.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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