Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Genügsamkeit – eine unterschätzte Tugend („Quergedanken“)

     Monatskolumne Nr. 217, August 2023


Wer darauf gekommen ist, weiß ich nicht mehr. Plötzlich schwebt dieses alte − ja altehrwürdige – Wort über dem Gartentisch: Genügsamkeit. Freund Walter und ich sitzen plaudernd beisammen. Jeder einen Humpen Bier vor sich, zwischen uns ein Brett mit Käse, Schinken, Tomaten, Oliven, Gurken, Butter nebst einem Körbchen Brot. Wir schneiden Brocken ab, schieben sie uns zwischen die Zähne, missachten die guten Tischsitten und reden mit vollem Maul, weil das Pallaver über Genügsamkeit erstmal zur Kontroverse wird.

Für Walter ist Genügsamkeit ein negativer Begriff: „Von den Reichen seit jeher den Armen als gottgefällige Tugend gepredigt, auf dass sie ihr Los erdulden und Wasser trinken, damit Fürsten und Pfeffersäcke Wein saufen können.“ Diesem Befund mag ich nicht widersprechen. Denn so war das, und so ist es noch immer, wenn es etwa um Löhne oder Renten geht. Es dauert, Walter plausibel zu machen, dass diese Art, das Wort Genügsamkeit zu gebrauchen, ein Missbrauch ist. Im ureigentlichen Sinne meint es eine positive Haltung – nämlich das Gegenteil von leichtfertiger, mutwilliger, verantwortungsloser oder völlig sinnloser Gier und Verschwendung.

Zu Altvorderenzeiten war Genügsamkeit eine überlebenswichtige Tugend: Nicht genügsam mit Jagdrevieren, Äckern, Vorräten umzugehen, konnte sich bitter rächen. Woran erkennbar wird, dass Genügsamkeit auch eine entscheidende Bedingung für Nachhaltigkeit ist. Womit wir in der Gegenwart von Klimawandel, Artensterben, Planetvermüllung, Entmenschung wären und hier beim Gegenteil von Nachhaltigkeit: der Maxime vom ewigen Wachstum, vom Kaufen-Kaufen-Kaufen des Mehr-Größer-Schneller.

Walter hat’s schließlich erfasst: „Dann geht es beim eigentlichen Sinn von Genügsamkeit nicht darum, die Armen zur Zufriedenheit mit ihrem Schicksal zu drängen. Denn die sind, gezwungenermaßen, ja per se genügsam, weil sie sich Mehr-Größer-Schneller gar nicht leisten können.“ Richtig, zumindest gilt das für die Quantität ihres Konsums. Ihnen gleichwohl vorzuwerfen, sie schmissen ihr weniges Geld oft für unnützes Zeug zum Fenster raus und würden nach grenzenlosem Konsum gieren, ist eine hässliche Unart. Denn der Markt will es so – und auch die Ärmeren erstreben bloß (meist vergeblich), was und wie die Wohlhabenderen ganz selbstverständlich leben.

Der zu marktkonformer Verschwendung erzogene und darin gar den Sinn des Lebens sehende Zeitgeist macht vor keiner Gesellschaftsschicht halt. Doch sind die realen Möglichkeiten sehr verschieden, ihm praktisch zu folgen. Für unzählige Menschen weltweit reicht es nichtmal fürs Nötigste, während anderweitig beispielsweise Klamotten „aufzutragen“ aus der Mode gekommen ist; Autos, Straßen, Häuser, Gewerbegebiete unsinniger Weise immer mehr und größer werden; die Vielfalt an (oft fragwürdigen) Produkten astronomisch wächst – und sich allerhand Leute in einem Hamsterrad bis hin zur Gesundheitsgefährdung abstrampeln, um irgendwie vielleicht dem Leitbild (Trugbild) von superreich, superdynamisch, superschön näher zu rücken.

Genügsamkeit hat mit Askese wenig zu tun, viel indes mit Selbstbestimmung und Genussfähigkeit. Für Walter und mich ist etwa das Zusammensitzen beim einfachen Vesper ein Hochgenuss. Wie wir auch in der Widerspenstigkeit gegen Einflüsterungen von Werbung und Verschwendungsgeist ständig neue Lebensqualitäten entdecken: das Schöne und Sinnerfüllte im Genügsamen (nicht zu verwechseln mit dem Quälenden der Armut).

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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