Monatskolumne Nr. 222, Januar 2024
„Nein, nein, nein, mache ich nicht, auf gar keinen Fall!“ So lautete mein Bescheid, als Freund Walter fragte, ob ich denn wieder ein Resümee über das abgelaufene Jahr verfassen wolle. Um Himmels Willen, was sollte ich denn über 2023 schreiben? Dasselbe wie über 2022 und 2021, also sinngemäß: „Rundum beschissen, nur diesmal noch schlimmer.“ Eine Überschrift wäre schnell gefunden, könnte lauten: „Schon wieder ein Jahr wie im falschen Film.“ Denn so kommen sich viele Leute vor, die schon die 1960er, -70er, frühen -80er bewusst miterlebt hatten – und im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts voller Hoffnung waren, der Lauf der weltlichen Dinge werde sich nun zum Besseren wenden.
Doch stattdessen sind alle Hässlichkeiten der älteren Zeit in der jüngsten putzmunter wieder da: Heißer Krieg in Europa, weil Russland die Ukraine überfällt; kalter Krieg allüberall; neuerliche Explosion des Nahost-Konflikts; nachrüsten, aufrüsten, wettrüsten. Die Atomkraft soll wiederkommen. Die alten Nazis sind zwar ausgestorben, doch der Schoß gebiert ständig neue und gut ein Fünftel unserer Landsleute hat überhaupt kein Problem damit, ihnen nachzulaufen. Sie hängen Demokratie und Humanität an den Nagel – angeblich aus bloßer Verärgerung über die Politik der Bundesregierungen und weil sie gerne glauben möchten, es gäbe keinen Klimawandel, keine Gefährdung der Weltzivilisation und sowieso könne man das Land auch ganz ohne Zuwanderer am Laufen halten.… Herrje, schon stecke ich wieder mittendrin in diesem Sumpf aus Ignoranz, Dummheit, Menschenverachtung und Größenwahn gleichermaßen. Nicht zum aushalten.
Deshalb was anderes, was kleines, aus der individuellen Privatwelt, wo man zwar nicht immer, aber doch bisweilen noch jene tröstenden bis schönen Momente findet, die einem der Irrsinn der großen Welt verwehrt. Just an dem Tag, da ich mir diese Zeilen abringe, feiert Keith Richards seinen 80. Geburtstag. Wer ist denn das?, fragt jetzt jemand. Also bitte, das sollte man schon wissen, schließlich gehören der Gitarrist und seine Band The Rolling Stones seit etlichen Jahrzehnten zur globalen Leitkultur. Jedenfalls sagte Keith im zeitnahen Umfeld zu seinem Geburtstag den hübschen Satz: „Wer die Angst vor dem Alter überwunden hat, kann es genießen.“
Nun ließe sich einwenden, der Mann habe gut reden. Denn dem Vernehmen nach soll er – trotz kaum vorbildlich gesunder Lebensführung in der Vergangenheit – noch ziemlich rüstig sein; wohl nicht ganz so wie sein Band-Frontman Mick Jagger, der bereits im Juli 80 Kerzen auf der Torte hatte, gleichwohl noch immer hüftschwingend über die Bühnen hopst wie dazumal in Jugendjahren. Doch Schrundengesicht Keith wird wissen, dass zu einem solch fidelen Altersstand neben der Freude am Musikmachen auch ein Quantum Glück gehört. Er kennt ja unzählige Kollegen und Kolleginnen seiner Generation, die viel früher aufs Altenteil gehen mussten oder gleich den Löffel abgaben und seit Jahrzehnten in der himmlischen Allstar-Band grooven.
Weshalb Keith’ Satz vom Überwinden der Angst vor dem Alter wohl einschließt, dass Lebensgenuss im Alter ein gewisses Maß an Aussöhnung mit den Einschränkungen des Alters bedeutet – und eher wenig zu tun hat mit verzweifelten, verbissenen Krämpfen um zeitloses Nichtaltern. Gesund zu leben hilft viel, ist aber nunmal keine Garantie für Fitness bis zum Sterbebett oder gar ewige Jugend. In diesem Sinne: ein gutes Neues, irgendwie.