Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Schaut euch diese aktuellen Altvorderen an („Quergedanken“)

      Monatskolumne Nr. 223, Februar 2024

Doch, ich mag Jubiläumsjahre. Zeiten, in denen man einstiger Geistesgrößen oder bedeutender Künstler und Künstlerinnen anlässlich runder Geburts- beziehungsweise Todestage gedenkt. Dann werden viele lange Artikel, ganze Bücher gar über die vor 50, 100, 200 oder mehr Jahren Verblichenen geschrieben, Vorträge gehalten, Ausstellungen organisiert, Filmdokus gezeigt, Würdigungsfeste gefeiert. Vielleicht treffen sich Fachleute, um bei Symposien in neuer Zeit gewonnene neue Aspekte aus Werk oder Leben des/der Gefeierten vorzustellen. Kurzum: Oft zu Unrecht vergessene oder zum toten Denkmal verstaubte Große gewinnen im Jubeljahr wieder Farbe, Lebendigkeit, Aufmerksamkeit, alte und womöglich gar neue Bedeutung.

So hätte es 2020 mit Beethoven sein sollen. Damals jährte sich der Geburtstag des Bonner Kindes und baldigen Wahl-Wieners zum 250. Mal. Die Jubiläumspläne in Deutschland und Österreich waren opulent. Die Bundeskunsthalle Bonn hatte Ende 2019 eine grandiose Beethoven-Ausstellung eröffnet, sie jedoch bald nach dem Start wieder schließen müssen. Weil: Corona ergriff das Zepter – und zerbröselte das so schön gedachte Beethoven-Jahr in digitale Kleinteiligkeit oder Verschiebungen auf später, dann noch später, schließlich auf irgendwann oder nirgendwann. Des armen Ludwig Jubiläum verlief pandemiebedingt ähnlich tragisch wie dunnemals zu Lebzeiten Teile seines Daseins.

Solches Schicksal dürfte, hoffe ich, den 2024er Jubiläen erspart bleiben. Im klassischen Kulturumfeld könnten sich die Musikfreunde auf Bruckner als Hauptjubilar kaprizieren, die Literaturliebhaber auf Kafka. In der Bildenden Kunst wird gewiss Caspar David Friedrich mit seinem 250. Geburtstag der Überflieger. Im Alter von der Öffentlichkeit kaum noch beachtet und verarmt, gilt der Maler inzwischen als der bedeutendste für die Epoche der Romantik – und stoßen seine Gemälde gerade in jüngster Zeit auf enorm gesteigertes Interesse. Warum? Dies vor allem wegen ihrer gefühligen, melancholischen Darstellung von Größe und Großartigkeit der Natur. Denn das packt uns Heutige besonders, spricht unsere Verlustängste an, jetzt, da der menschliche Raubbau diese Natur so sehr gefährdet.

Insofern erweist sich der alte Friedrich als brennend aktuell. Das gilt in noch höherem Maße für den nach meinem Dafürhalten wichtigsten Jubilar in diesem Jahr und die bedeutendste europäische Geistesgröße seit Sokrates: Philosoph Immanuel Kant – ein vor 300. Jahren geborener Stubenhocker, der kaum je aus seinem Königsberg herauskam und doch schon zu Lebzeiten eine internationale Berühmtheit war, die das Denken nicht nur ganz Europas von Grund auf durchrüttelte. Er erklärte die Vernunft zur zwar nicht einzigen, aber doch entscheidenden Größe bei der Durchleuchtung von Welt, der befreienden und moralischen Entwicklung des Individuums sowie nicht zuletzt für die wünschenswerte Gestaltung von Staat und Gesellschaft.

Au weh“, meint Freund Walter, „das gibt Ärger mit der philosophischen Zunft, so brutal wie du den armen Immanuel hier eingekocht und vereinfacht hast.“ Mag sein, muss man mit leben. Aber was wäre für die Menschheit doch gewonnen, würde sie sich wenigstens ein kleines Eckchen selbst von solcher Vereinfachung zu eigen machen: Etwas mehr Vernunft, statt ständig mehr Glaube, Dogma, Vorurteil, Spintisiererei, Wissenschaftsfeindlichkeit, Ignoranz, Herrschsucht, Profitgier. Darauf seufzt der Freund: „Träum weiter.“

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

,

Archiv chronologisch

Archiv thematisch