Koblenz 16.3.2024. Vergangene Woche ist für viele völlig unerwartet Marlis Köhn gestorben. Die Cellistin war Anfang der 1970er die erste Frau im Staatsorchester Rheinische Philharmonie. 40 Jahre lang hatte sie im Koblenzer Klangkörper musiziert, ist auch nach ihrer Pensionierung anno 2010 dem Orchester noch einige Jahre als dienstbarer Geist treu geblieben. Mit einem von mir 2011 über sie geschriebenen Artikel (s. nachfolgenden Text) möchte ich noch einmal an diese wunderbare Frau erinnern.
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„Cello-Mieze“ verwöhnt das Orchester
ape. Koblenz. Was tun Musiker der Rheinischen Philharmonie, wenn sie nicht musizieren, proben, üben? Unsere Artikelreihe „Nach Dienst“ sucht einige Orchester-Mitglieder in ihrem privaten Umfeld auf, erzählt von ihren nicht immer alltäglichen Hobbys, Passionen, Engagements. Das vergangene Heft berichtete über die „Praxis für energetisches Heilen“ der Kontrafagottistin Ursula Blobel. In der jetzigen Ausgabe ist der Begriff „nach Dienst“ weiter gefasst: Das Augenmerk gilt der Cellistin Marlis Köhn, die nach ihrer Pensionierung im vergangenen Sommer die Bewirtschaftung der Orchester-Cafeteria im Görreshaus übernommen hat.
Fragt man Rheinische Philharmoniker nach ihrer Kollegin Marlis Köhn, kann es passieren, dass der eine oder andere stutzt: „Wer? – Ach, sie meinen Mieze.“ Das wiederum irritiert Außenstehende. Wieso wird eine selbstbewusste Frau und über Jahrzehnte gestandene Cellospielerin, die zudem im Orchester erkennbar hohes Ansehen genießt, „Mieze“ genannt? Doch kaum jemand im Görreshaus weiß, woher dieser Spitz-, Uz-, Kosename in Köhns Fall rührt. Er war schon immer da: Marlis Köhn wird – respektvoll, freundschaftlich, kollegial – eben Mieze gerufen, seit sie in Koblenz Dienst tut. Und das macht sie länger als alle Musiker, die heute zum Orchester gehören.
Eigentlich müsste man in der Vergangenheitsform sprechen, denn im Juni 2010 ging die Cellistin in den Ruhestand. Da waren ziemlich genau 40 Jahre vergangen, seit sie 1970 erstmals bei der Rheinischen Philharmonie Anstellung genommen hatte. Aber die Vergangenheitsform sperrt sich, denn die kleine, blonde 65-Jährige mit dem munteren Blitzen um Augen und Mund ist anhaltend präsent im Orchesterleben. Nicht nur als gelegentliche Vertretung oder zur Verstärkung großer Konzertprojekte: Eben pensioniert, hat sie sogleich die Bewirtschaftung der Orchester-Cafeteria im Görreshaus übernommen – also einen für Versorgung, Stimmung und damit auch Spielfreude der Musiker wichtigen Job.
„Ohne Mampf kein Kampf“ heißt es beim Militär, was positiv gewendet fürs Orchester bedeutet: Guter Kaffee, schmackhafte Snacks und angenehme Atmosphäre in den Proben- oder Konzertpausen sind dem musikalischen Schaffen allemal zuträglich. Die neue „Wirtin“ weiß, was die Kollegen wollen und ihnen gut tut. Sie stand schließlich unzählige Male mit 50, 60 oder mehr Leuten in der Warteschlange vor dem Kiosk und der dazugehörigen kleinen Küche im Erdgeschossflur des Görreshauses. Dort führt nun sie selbst das Regiment.
Das heißt, sie rückt lange vor Beginn der Vormittags- und der Abendpausen an: kocht Kaffee, gibt Würstchen in den Erwärmer, bäckt frische Brötchen aus, belegt sie abwechslungsreich, garniert kreativ und richtet oft auch Selbstgemachtes an wie Nudelsalat oder verfeinerten Yogurt. Durchaus ehrgeizig folgt sie dabei dem Variationen-Prinzip, will immer wieder mit Neuem im Angebot überraschen. Köhns Teller und Schälchen bringen Kreationen an Mann und Frau, die Gaumen wie Auge ansprechen. „Mieze verwöhnt uns richtig“, heißt es denn auch bei den Musikern; und: „Jedesmal sind wir neugierig, was sie sich wieder ausgedacht hat.“ Weshalb Miezes größte Sorge ist, „dass mir mal nichts mehr einfällt“. Auf ein versiertes Repertoire im Küchenfach könne sie kaum zurückgreifen: „Ich kann nur wenig kochen, bin überhaupt kein Hausfrauentyp.“ Eine Selbstaussage, die beim Besuch in Marlis Köhns Horchheimer Privatdomizil durch den schlichten Umstand bestätigt wird: Die Cellistin hat eine wunderschöne Wohnung, aber in der Küche statt eines richtigen Herdes nur eine einsame kleine Kochplatte.
Was sie nicht hindert, für die Cafeteria eine Menge Kreativität zu entwickeln. Neue, helle Stehtische hat sie zimmern lassen, an denen auch größere Gruppen Platz finden. Den Kaffeeausschank hat sie zur Selbstbedienung ausgelagert, damit die Schlangen am Kiosk kleiner werden und auch der Letzte noch zeitig vor Pausenende zu seiner Stärkung kommt. Gesundes hat sie ins Sortiment aufgenommen: Obst, Tee aus Bio-Anbau oder Vollkornbrötchen etwa. Kurzum: Die Frau geht mit Verve und Vergnügen an die neue Aufgabe. „Ja doch, das macht Spaß, die Kollegen zu bewirten“, sagt sie – auch wenn es manchmal späte Nacht wird, bis sie mit dem Aufräumen fertig ist, und obwohl „finanziell bloß ein Taschengeld übrig bleibt.“ Räume, Geräte, Geschirr stellt die Philharmonie, ansonsten bewirtschaftet sie die Cafeteria auf eigene Rechnung.
Die pensionierte Musikerin als Orchester-Wirtin: Wieder fällt Marlis Köhn unbeabsichtigt die Pionier-Rolle zu. Das war schon 1970 so, als eigens für sie die Statuten der Rheinischen Philharmonie geändert werden mussten: Sie war die erste Frau in dem bis dahin reinen Männerorchester (von der seit jeher obligaten Harfinistin abgesehen). Gut zehn Jahre bevor Karajan bei den Berliner Philharmonikern die ersten Musikerinnen durchsetzte, brach die aus dem Münsterland stammende Cellistin in Koblenz den Frauenbann. „Eine Mädchen in meine Orchester, was ist daaas?“, rief der damalige Chefdirigent der Rheinischen, Walter Crabeels, in gutmütiger Verwunderung beim Dienstantritt Köhns aus. Die erste Frau sei im Orchester damals sehr gut aufgenommen worden, erinnert sie sich. „Die Erwartung der männlichen Kollegen war allerdings: Ich sollte einerseits stets Nähzeug dabei haben, andererseits ordentlich Skat klopfen können.“ Ja, so war‘s.
Eigentlich hatte sich Marlis Köhn ihr Rentnerdasein anders vorgestellt. „Reisen wollte ich, und vor allem frei sein von Dienstplänen.“ Weshalb ihr die Idee aus dem Kollegenkreis erst gar nicht gefiel, die Nachfolge der aus Alters- und Gesundheitsgründen endenden Cafeteria-Bewirtung durch die Familie Deuster zu übernehmen. Ihr Missfallen währte gerade mal eine Nacht. Dann hatte sie sich mit der Vorstellung angefreundet, weiter im Kreis der Kollegen und Freunde zu wirken – aus eigenem Spaß, sowie zur Freude der Koblenzer Orchesterfamilie.
Und wie kam es nun zu „Mieze“? Reiner Zufall. Das Orchester in Recklinghausen suchte 1970 eine Cello-Aushilfe, ein Studienkollege empfahl die frisch gebackene Absolventin der Kölner Musikhochschule und kündigte locker-flockig das baldige Kommen der „Cello-Mieze“ an. Schon hatte Marlis Köhn ihren Namen weg. Nach Koblenz gelangte er mit besagtem Studienkollegen, den wiederum sie etwas später an die Rheinische Philharmonie vermittelte. Wie Musikerleben eben manchmal so spielen. Andreas Pecht (Februar 2011)