Monatskolumen Nr. 230, September 2024
Es ist zwei Jährchen her, da saß ich mit einem guten Bekannten am Ufer eines Weihers. Kein Mensch weit und breit, die nächste Straße zwei Kilometer entfernt. Still ruhte der See, abgesehen von einem Dutzend Enten am jenseitigen Ufer. Wir hatten eben unseren alljährlichen Traditionsgang in die Brombeeren abgeschlossen. Die Eimer voll, die Arme leidlich verkratzt, auf den Klamotten manch blauschwarzer Flatsch: So ruhten wir nun in behaglicher Zufriedenheit auf der vom Anglerverein aufgestellten Bank – für ein Weilchen schweigend, schauend, nichts tuend. Wunderbar.
Derart hätte ich verweilen können, eine Stunde oder auch zwei. Denn, man mag es glauben oder nicht: Bisweilen bin ich gerne ein großer Schweiger, geduldiger Sitzer, zielloser und nutzloser Flaneur oder Garnichtstuer. Dann will ich auch nicht lesen, nicht im Netz surfen, keine Musik hören, kein Fernsehen gucken, keine Spiele spielen, nichtmal plaudern oder sporteln. Und schon gar nicht arbeiten. Freund Walter mault manchmal, wenn er merkt, dass ich in diesen Zustand abgleite: „Du bist mal wieder extrem ungesellig“, oder gar „sei nicht so faul“. In solchen Momenten muss ich ihn erinnern, dass er das Recht auf Faulheit für ein grundlegendes Menschenrecht hält, und dass er regelmäßig die heutige Dauerbedudelung bzw. -beschießung sämtlicher Sinne mit unendlichen Mengen von Vergnügungs-, Info- und Kommunikationsangeboten als ein die Menschheit verblödendes Unding abkanzelt.
Damals am kleinen Weiher merke ich nach kurzer Zeit, wie mein Brombeermitsammler unruhig wird. Er schnauft, kratzt sich, rutscht auf der Bank herum, greift reflexartig nach seinem Smartphone … Kurzum: Der gute Mann fühlt sich zunehmend unwohl im Zustand der Stille und des Nichtstuns. Wir beginnen wieder zu plaudern, schnappen bald die Eimer und machen uns auf den Heimweg. Nachher merkt er an: „Das war ein herrlicher Moment da am See, aber länger als eine Viertelstunde kann ich das nicht.“
Über dieses „ich kann das nicht“ habe ich seither öfter nachgedacht. Geht mir ja manchmal ähnlich. Dann habe ich den sprichwörtlichen Pfeffer im Ar…, sorry: Hintern, und lasse mich, sogar noch als Rentner, antreiben, bisweilen hetzen vom Drang und/oder Pflichten zum schier pausenlosen Tätigsein. Die Prägungen durch das überkommene Selbstverständnis unserer Arbeits- und Leistungsgesellschaft sind schon ziemlich stark. Der kritische Rückblick auf fast 40 Jahre Berufsleben bestätigt: Du warst oft bis über die Grenzen zur Selbstaufreibung hinaus entschieden zu fleißig. Es war ein hartes Ringen, aber irgendwie habe ich mir die Kulturtechnik des Abschaltenkönnens dann doch erhalten. Abschalten im doppelten Sinne: Die Geräte und Medien der Dauerbedudelung und permanenten Weltverbindung, das Hirnfeuerwerk ständig überbordender Aufmerksamkeit und Aktivität.
Auch wenn Walter manchmal meckert über meine vielleicht gar zu ausgeprägte Unlust, „etwas zu unternehmen“, so hat er sich inzwischen selbst abgewöhnt, auch Freizeit und Urlaub mit Aktivitäten und allzeitlicher Mediennutzung vollzustopfen. Weshalb es nun immer häufiger vorkommt, dass wir einhalten mit der Schaffe, auch dem mehr oder minder gescheiten Pallavern, und ein Stündchen nur in seligem Schweigen scheinbar völlig sinnlos beisammenhocken – indes hingegeben der Lust und gesteigerten Lebensqualität des zeitweisen Garnichtstuns. Es ist sehr angenehm, wenn man das noch (oder wieder) kann.