Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Theater, Theater, der Circus ist hier („Quergedanken“)

      Monatskolumne Nr. 231, Oktober 2024

Drunten in der Stadt Koblenz wird das historische Theatergebäude von Baucontainern belagert. Drinnen wuseln zwei Dutzend Gewerke herum. Gegeben wird auf, unter, hinter, über der Bühne des Großen Hauses das Stück: Generalsanierung. Droben auf dem Plateau der Festung Ehrenbreitstein haben sich deshalb die ausquartierten Künstler ein ungewöhnliches Exil fürs Bühnenspiel erkoren: ein Circuszelt. Und zwar ein sehr großes.

Ein derart opulentes Zelt hatte ich erstmals in Kindheitstagen besucht, als der Circus Sarrasani in meiner damaligen Heimatstadt Heidelberg Station machte. Letztmals habe ich vor einigen Jahren, wiederum in Heidelberg, in solch einem Riesenzelt gesessen. Das Publikum wurde da nicht durch Akrobatik und Dressuren fasziniert, sondern von großer Oper gerührt. Denn drei Jahre lang diente dorten am Neckar auch ein Zelt als Ausweichspielstätte für die Zeit der Generalsanierung des Theaters in der Altstadt.

Dann wollen wir mal die Daumen drücken, dass es am Rhein-Mosel-Eck nicht so lange dauert und das Theater planmäßig nach einem Jahr seine Hauptbühne wieder bespielen kann.“ So Freund Walter. Und gleich schiebt die alte Unke nach: „Hoffentlich haben die Koblenzer dann nicht so ein Pech wie die Heidelberger.“ Womit er darauf anspielt, dass Heidelberg sein saniertes Stammhaus quasi am Tag der Wiedereröffnung gleich wieder schließen musste – wegen eines gewaltigen Wasserschadens.

Eine Koblenzer Spielzeit also im Circuszelt. Wobei: Drinnen erinnert wenig an Circus. Statt mittiger Manege, zentrale Frontbühne; statt Zuschauerrund aus Holzbänken, gerade ansteigendes Stufenparkett mit Einzelsitzen und (wunderbar) ordentlich Beinfreiheit. Kurzum: Man hat im Zelt einen Theaterraum eingerichtet, wie er für die meisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erbauten deutschen Theater typisch ist; so das Schauspielhaus Bonn-Godesberg, die Schauspielhäuser Köln und Frankfurt, die Theater Trier und Neuwied oder das neue Kleine Haus in Mainz.

Wobei viele der in den 50ern bis 80ern erbauten Theater schon eine Weile, derzeit oder demnächst auf Ausweichspielstätten angewiesen sind. „Weil“, ätzt Walter, „es sich mit ihnen verhält wie mit den deutschen Brücken aus der gleichen Bauzeit: Sie sind marode bis zum Gehtnichtmehr. Man kann von Glück sagen, dass das Koblenzer Theater 250 Jahre älter ist, sich deshalb die Sanierung aufs Innere und die Technik konzentrieren kann, aber nicht die ganze Bausubstanz ersetzen muss.“ Das kostet dann ein paar Millionen, aber nicht viele Dutzend wie in Trier erwartbar, oder mehr als eine Milliarde, wie mit der Ewigkeitsbaustelle Schauspiel/Oper in Köln erlebbar und alsbald des ähnlichen Komplexes in Frankfurt.

Zurück ins kleine Koblenz. Die hiesigen Theaterfans müssen sich für diese Saison etwas umstellen. Müssen vorab schauen, wo was aufgeführt wird. Denn das Zelt ist nicht die einzige Ausweichspielstätte. Aufpassen heißt es auch bei den Anfangszeiten. Die Regel war im Stammhaus 19.30 Uhr, im Zelt wird oft um 19 Uhr letztmals „geklingelt“. Was wohl einer der europaweit eigentümlichsten Zuwegungen zum Theater geschuldet ist: Man kann es an vielen Abenden (nicht an allen!) via Seilbahnfahrt ansteuern. Muss man aber nicht, es geht auch per Pendelbus oder PKW.

So heißt es denn für die Spielzeit 2024/25: „Manege frei!“ Ach was, am Ende gilt doch wieder: Vorhang auf! Und für alles, was dann geschieht, sei gutes Gelingen gewünscht.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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