Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Alle wollen alt werden, niemand will es sein („Quergedanken“)

     Monatskolumne Nr. 232, 30. Oktober 2024

 „Tach Alter. Klappt’s noch?“ So geht der flapsige Spruch, mit dem Freund Walter mich häufig begrüßt. Das nicht erst, seit ich in diesem Oktober 69 geworden bin und nun also im 70. Lebensjahr auf Erden wandle. Schon früher stichelte der 15 Jahre Jüngere auf diese Art. Damals lautete der Gruß noch: „Tach Alter. Alles fit im Schritt?“ Den hat er sich abgewöhnt, weil von Damen – wegen seiner Fixierung auf den unteren Maschinenraum – bisweilen ungnädig aufgenommen. Also hat sich der Schlauberger eine Formel erkoren, die sämtliche Knochen-, Muskel-, Nerven-, Organfunktionen meinen könnte.

Focht mich so eine Begrüßung seinerzeit oder ficht sie mich heute an? Hand aufs Herz: Jein. Denn ich weiß, es ist nur freundschaftliche Frotzelei. Gleichwohl wies ich die Bezeichnung „Alter“ stets von mir mit dem Hinweis: Ich bin zwar der Ältere, aber kein Alter. Und was das „klappt’s noch“ angeht: Der Freund ist hinsichtlich Leibesbetätigung ein fauler Hund. Während ich mit eigener Muskelkraft einen recht großen Selbstversorgungsgarten betreibe, gießt er bloß seine fünf Zimmerpflanzen. Während ich über Jahrzehnte fast täglich etliche Kilometer durch Wald und Flur marschierte, hält Walter das Flanieren vom Deutschen Eck durch die Koblenzer Rheinanlagen zum Weindorf für eine sportive Spitzenleistung. Ein Vergleich des Liebespensums schließt sich in dieser Kolumne mangels Altersbegrenzung für die Leserschaft aus.

Indes: Mittlerweile geht eben nicht mehr alles wie gewohnt. Über Jahrzehnte lagen in der Hausapotheke nur Pflaster und Aspirin. Seit drei, vier Jahren füllt sie sich mit verordneten Pillen gegen dies und für jenes, Schmerzgel und Wärmepflaster obendrein. Die Waldgänge sind kürzer geworden, der Garten wird verkleinert. Was ist die Ursache für solchen Niedergang, wo ich doch seit vielen Jahren hinsichtlich Bewegung und Verpflegung zwar nicht ideal, aber doch deutlich besser aufgestellt bin als der Durchschnittsdeutsche? Antwortet eine Landärztin weise: „das Leben.“ Verschleiß der Körpersubstanz und -funktionen über Jahrzehnte je nach Lebensstil und Arbeitsbelastung, dazu die individuellen genetischen Anlagen – das definiere die biologische Seite von Altern und Alter, sagt Frau Doktor, „allerdings für jeden Menschen anders“.

Ja aber, was ist nun mit den überall angepriesenen Segnungen von Sport und Gesundernährung gerade im Alter? „Helfen“, meint sie in Übereinstimmung mit der ganzen Medizinwissenschaft. Können den Alterungsprozess etwas verlangsamen und die Altersgebrechen mildern. „Wenn der Sport Spaß macht und die gesunden Speisen schmecken, helfen sie sogar ein bisschen mehr; oft.“ Freilich gilt: Man kann sein bisheriges Leben damit nicht ausradieren und seine Gene nicht umpolen. Ewige Jugend gibt es keine und Alter ohne Gebrechen kommt nur selten vor. Dass es hier und dort schmerzhaft zwackt, dies und das nicht mehr klappt, ist der Normalfall des Altwerdens.

„Alter ist nichts für Feiglinge“, heißt ein Sprichwort. Ein anderes sagt fast das Gegenteil: „Man ist so jung, wie man sich fühlt.“ Ich halte von beiden Sprüchen wenig. Der eine hadert nur unentwegt mit den Beschwernissen des Alters. Der andere tut so, als könne man Altersgebrechen mit der richtigen Gute-Laune-Einstellung einfach wegfühlen. Gescheiter ist es wohl, sich einzugestehen: Ich bin noch kein Greis, aber ja, ein Alter schon – um dann aus dem, was man noch kann, jeweils das Beste zu machen.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

, , , ,

Archiv chronologisch

Archiv thematisch