Monatskolumne Nr. 235, 31. Januar 2025
(Redaktioneller Hinweis: Der nachfolgende Text hatte Redaktionsschluss einige Tage vor den Untaten von Aschaffenburg und den sich daraufhin entwickelnden politischen Turbulenzen)
Helolaulaaf! Aber mal ehrlich, ich wollte in diesen Zeiten kein fastnachtskarnevalistischer Büttenredner sein. Respekt also denen, die sich trauen. Gerade auf dem Feld der politischen Spöttelei ist ja kaum noch ein Witz denkbar, der sich über Parteigrenzen hinweg halbwegs unbefangen belachen ließe. Nicht in diesem Jahr, wo eine Vielzahl von Sitzungen im direkten zeitlichen Umfeld zur Bundestagswahl über die Bühnen gehen – und Närrinnen, Narrhallesen, Fastelovendsfründe oft eher jedes Wort auf die parteiliche Goldwaage legen, als des Spaßes halber Siebene mal gerade sein zu lassen. Und erst der Blick auf die Weltlage: Närrischer als die Realität kann kein Beitrag sein.
Obendrein ist ja nun über die Jahre selbst beim scheinbar unpolitischen Bütten-Kokolores der Griff ins überkommene Standardrepertoire der Schenkelklopfer häufig eher ein Griff ins Klo geworden. Witzeleien über Frauen, die nicht Autofahren können, mit dem Schminkköfferchen zum Wandertag antreten oder in Kittelschürze mit dem Nudelholz den besoffenen Gatten empfangen: Dieses ganze Genre – die hier nicht näher ausgeführten Sexspäßchen inklusive – mag vom heutigen Publikum zwar nicht gleich inkriminiert werden, aber mehr als Augenrollen und Peinlichkeitslacher über die weltfremde Altbackenheit derartiger Kalauer sind solchen Reden kaum noch sicher. Ganz davon abgesehen, dass viele der Jüngeren in den Sälen die Altwitzigkeiten gar nicht mehr begreifen können, weil sie die einstige Lebenswelt, auf die sie sich ironisch beziehen, nie erlebt haben.
Ja, ja, die Bütt ist ein anspruchsvolles Pflaster. Geistreich-humorige Bemerkungen lassen sich nicht einfach aus dem Ärmel schütteln oder dem Bonmot-Handbuch von vorgestern entnehmen. Selbst aus dem lange beliebten Gespött über Vegetarier und Veganer ist doch irgendwie die Luft raus, seit diese Ernährungweise zu einem selbstverständlichen und recht großen Teilsegment des Mainstreams geworden ist. In allen Supermärkten nehmen die entsprechenden Produkte inzwischen etliche Regalmeter ein, jedes Wirtshaus hat auch entsprechende Speisen auf der Karte, in fast allen Familien und jedem Freundeskreis gibt es Leute, die sich ganz oder teilweise so ernähren. Wie bei den alten Frauenwitzen lässt auch hier der Gang der Lebenswirklichkeit die bemühte Spöttelei bald fad’ werden.
Während ich so über Karnevalshumor sinniere, biegt Freund Walter kichernd um die Ecke. Das geht seit Tagen so: Ständig grinst, prustet, lacht er, als würde in seinem Kopf eine eigene Fastnachtssitzung laufen. Das kommt von dem: Er versuche, so die Erklärung, auf heutige Personen, Ereignisse, Aussagen zu reagieren, wie wir vor 10, 15 Jahren noch darauf reagiert hätten, also bevor Lügenmäuligkeit und galoppierender Schwachsinn massentauglich geworden sind. Beispiele: „Die Erde ist eine Scheibe.“ Oder: „Eine geheime Weltverschwörung steuert alles.“ Oder: „Gott hat vor ein paar tausend Jahren die Erde mit allem was darauf heute wächst, kreucht und fleucht erschaffen; Evolution gibt es nicht; Darwin war ein Scharlatan.“ Oder: „Impfen ist Massenmord.“ Oder: „Windmühlen sind eine Schande.“ Oder: „Hitler war Kommunist.“ Oder „Trump ist der ehrlichste Politiker.“ Etc.pp.
Ceterum censeo I: Geht wählen; wählt demokratisch, humanistisch, europäisch.
Ceterum censeo II: Es ist höchste Zeit, in Deutschland und/oder der EU ein Social Netzwerk nach öffentlich-rechtlichen Prinzipien aufzubauen.