Leseempfehlung!! Zwei heute erschienene Kommentare des Kollegen Christian Nürnberger zur Causa Merz/Söder/Grüne/Sondervermögen, die ich in wesentlichen Punkten teile.
1. Statement auf Facebook:
„Ja, man darf wütend sein auf Merz und Söder, besonders auf Söder. Die Abstimmung mit der AfD im Bundestag, 551 überflüssige, weil einseitige, Fragen zur staatlichen Finanzierung von NGOs, Friedrich Merz und sein interessanter Vortrag über Demonstranten gegen rechts, die nicht mehr alle Tassen … Dazu Söders Bullshit gegen die Grünen, zum 1001. Mal aufgewärmt im Aschermittwochs-Bierdunst von Passau – und dann die Schizophrenie des Friedrich Merz, der als Oppositionsführer die von den Grünen ins Spiel gebrachte Idee eines Sondervermögens empört zurückwies, als fast-schon-Kanzler nun aber genau diese Idee für genial hält und zu ihrer Durchsetzung dafür die Stimmen derer braucht, die Söder gerade eben hämisch verabschiedet hat. Das alles geht auf keine Kuhhaut, und wenn man jemand auf dieser Welt emotional bestens verstehen kann, sind es die Grünen, die sich nun den Plänen von Herrn Merz verweigern.
Kocht man allerdings die eigenen Emotionen herunter und fährt den Verstand hoch, muss man fragen: Warum lehnen jetzt plötzlich die Grünen den Vorschlag ab, auf den sie selbst das Copyright haben? Aus Selbstachtung, ja, das versteht man, aber natürlich wissen auch sie, dass Söder ausnahmsweise einmal recht hatte, als er sagte, die politische Mitte in diesem Land habe jetzt noch genau einen Schuss frei, um zwei Dinge zu verhindern: eine AfD-Mehrheit im Bundestag und einen triumphierenden Putin in der Ukraine.
Söder hat seine letzte Patrone schon längst verschossen. Die Grünen haben ihre noch und sollten sie jetzt – trotz allem – Merz übergeben, denn der hat auch keine mehr, aber braucht sie, im Interesse der politischen Mitte. Darum müssen Merz-Gegner und Merz-Hasser sich jetzt überwinden, über sich selbst hinauswachsen und Merz Erfolge gönnen, ja mehr noch, ihm den größtmöglichen politischen Erfolg wünschen. Der bestünde darin, den Triumph von Putin, Trump und Weidel zu verhindern. Alles andere ist im Vergleich dazu politisches klein-klein.“
2. VRM-Presse, Mainzer Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 12.03.2025
Gastkommentar: Alles Gute, Friedrich Merz!
Man möchte dem CDU-Chef wünschen, der beste Kanzler aller Zeiten zu werden / Aber nur unter Voraussetzungen
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„Von Christian Nürnberger
Ich bin seit rund einem halben Jahrhundert SPD-Mitglied, und als solches müsste ich Friedrich Merz und Markus Söder zum Teufel wünschen. Aber ich tue es nicht. Im Gegenteil. Ich wünsche Friedrich Merz, dass er der erfolgreichste Kanzler aller Zeiten wird, denn diese Zeiten sind nicht normal.
Wären sie normal, hätte ich hier geschrieben: Vergesst Merz. Vergesst den Kerl, der kürzlich aus schäbig-wahltaktischen Gründen ein Vorhaben der Grünen als überflüssig abgelehnt hatte, das er jetzt für notwendig hält: ein riesiges Sondervermögen. Und für das er jetzt die Stimmen der Grünen braucht.
Noch unfassbarer ist das Verhalten von Markus Söder, über dessen Aschermittwochs-Stadl der Moderator Micky Beisenherz geschrieben hatte: „Wichtigen Verhandlungen fernbleiben, um lieber auf einer Clownsveranstaltung mit Gags aus dem Pleistozän diejenigen zu beleidigen, die am Ende dem Verhandlungsergebnis zustimmen müssen, ist Söders söderste Tat ever.“ Da ist es kein Wunder, dass die Grünen jetzt sagen: Nö. So nicht. Und das hat Söder sich und der Union ganz allein und vielleicht sogar mit Absicht eingebrockt. Dass er Merz scheitern lässt, um sich selbst mit Hilfe der AfD zum Kanzler zu machen, wäre ihm zuzutrauen.
Wenn es aber ganz dumm läuft, dann wird die Union die Grünen gar noch als Koalitionspartner brauchen, denn das BSW lässt gerade in jedem Wahlkreis die Stimmen nachzählen. Fände Wagenknecht rund 13.000 Stimmen, wäre ihre Partei im Bundestag – und die Mehrheit von Schwarz-Rot wäre weg. In Baden-Württemberg haben sie schon 430 Stimmen gefunden, die versehentlich dem „Bündnis Deutschland“ zugerechnet wurden. Diese Partei stand auf den Wahlzetteln eine Zeile über der Wagenknecht-Partei. Hochgerechnet auf ganz Deutschland würde das trotzdem nicht reichen, aber man weiß ja nie, was bei genauem Nachzählen noch herauskommt.
Angesichts dieser Lage wäre es weise gewesen, wenn Söder und Merz gleich nach der Wahl leise das Wort „Entschuldigung“ ausgesprochen hätten. Generell hätte der Union eine gewisse Demut nicht geschadet. Aber: Das ist jetzt alles egal. Wir befinden uns in einer historisch völlig neuen Lage. Die EU allein zu Haus. Mit einer Ukraine, die sich ohne US-Hilfe nicht mehr richtig wehren kann. Die EU muss jetzt beweisen, dass es auch ohne die USA geht. Klingt unmöglich. Aber, um ein Wort Donald Tusks abzuwandeln: Warum sollen 500 Millionen Europäer 300 Millionen Amerikaner brauchen, um sich vor 144 Millionen Russen zu schützen, die in drei Jahren nicht mit 40 Millionen Ukrainern fertiggeworden sind? Und das europäische Bruttosozialprodukt ist rund achtmal höher als das russische.
Geld allein wird allerdings nicht reichen. Zusätzlich zum Sondervermögen braucht es das politische Vermögen, Deutschland und Europa zu einen. Das erfordert Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Entschlusskraft, Respekt gegenüber allen Partnern. Und ein Verantwortungsbewusstsein, das Markus Söder noch immer vermissen lässt. Darum kommt es jetzt auf den Kanzler an, und der heißt aller Voraussicht nach Friedrich Merz. Das kann ihm Söder und auch er sich selbst noch vermasseln, wenn er nicht in Lichtgeschwindigkeit in das dafür nötige Kanzlerformat hineinwächst.
Zuallererst muss er daher Söder klarmachen, wer der Chef ist. Dann hat er bei den Grünen Abbitte zu leisten. Mehr erwarten sie vermutlich gar nicht, denn es ist schwer vorstellbar, dass sie jetzt beleidigt ablehnen, was sie selbst vor ein paar Wochen noch für notwendig gehalten hatten. Dazu braucht es von Merz eine Geste des guten Willens, von Söder ein vierjähriges Schweigegelübde und von beiden die Zusage, etwas für den Klimaschutz zu tun.
Merz hat wenig Zeit. Er muss schnell eine Regierung bilden, anschließend nach Paris, Warschau, Kiew, London, Rom und Brüssel jetten und mit einer neuen, gemeinsamen Vision von Europa zurückkommen. Am besten mit der Vision von einem starken, freundlichen, hellen, der Welt zugewandten Europa, das sich als verlässlicher Partner und attraktive Alternative von den finsteren Mächten in Washington, Moskau und Peking abhebt.
Es heißt, der Mensch wachse mit seinen Aufgaben. Das gilt hoffentlich auch für Merz, und das müssen ihm sogar seine Gegner wünschen. Je besser das klappt, desto schneller wird die Luft entweichen aus dem bayerischen Halbstarken, der nicht erwachsen werden will. Das könnte unsereinen – und vielleicht auch die Grünen – mit Merz versöhnen.
Und in einen eindrucksvollen Aufbruch Europas münden.“