ape. Am Anfang der Zivilisation stand die Zähmung des wildwütigen Feuers. Gebändigt, wurde es zum Spender von Wärme und Licht, zum Kraftlieferanten und Werkzeug. Doch was Segen war, wird nun Fluch: Die Zahl der „Feuerstellen“ ist in die Milliarden gewachsen – sie fressen die globalen Brennstoffreserven weg und ihre Abgase verunstalten das planetare Klima.
Vor dem Kamin sitzen, in die Flammen schauen, dem Knacken der Scheite lauschen: Gemüter werden friedvoller, Worte bedächtiger, Gedanken freier. Das beruhigende Erleben des offenen, aber gebändigten Feuers ist ein Nachklang archaischer Zeiten, da die Glut im Steinkreis oder nachher im Herd Überlebensgarant für Horde und Sippe war.
Wann unsere Vorfahren aufhörten, den Tieren gleich ängstlich vor dem Feuer wegzulaufen, und begannen, es zu nutzen, liegt im Dunkel der Frühzeit verborgen. Die Forschung schreibt erste gegarte Nahrung dem Homo ercetus vor 700 000 Jahren zu. Er selbst konnte noch kein Feuer entzünden, hat sich bei natürlich entstandenen Bränden bedient. Die Kunst, mittels Feuerstein und Zunder Funken zu schlagen, gibt es seit gerade 35 000 Jahren.
Das Zeitalter des Holzes
So oder so: Erst die gezielte Nutzung des Feuers machte die Entwicklung des Menschen zur weltumspannend dominierenden Spezies möglich. Ohne Feuer keine optimierte Nahrungsverwertung durch Braten und Kochen. Ohne Feuer keine Besiedelung kälterer Weltgegenden. Ohne Feuer keine entwickelten Ton-Gefäße, erst recht keine Metallgewinnung. Kurzum: Ohne Feuer keine Zivilisation.
Primärer Brennstoff war über Jahrzehntausende Holz; sieht man von einigen Prozenten ab, die auf Stroh, getrockneten Dung oder seit 4000 Jahren auf Torf entfielen. Die zivilisatorische Entwicklung beruhte bis ins 18. Jahrhundert überwiegend auf regenerativen Energien. Selbst die Schmelztiegel der Antike und des Mittelalters wurden mit Holz respektive Holzkohle befeuert. Höhlen, Zelte, Häuser wurden mit brennenden Fackeln, Kienspänen, Pflanzenölen oder Tierfetten beleuchtet.
Eine ökologische Idylle waren die alten Zeiten dennoch nicht. Das Wachstum der Populationen und ihr technischer Fortschritt gingen zu oft mit regionalem Raubbau einher. Manche Hochkultur endete als Wüstenei: Sie machte sich selbst den Garaus durch Verschmutzung der nahen Gewässer, Übernutzung der Äcker und Kahlschlag der Umgebungswälder für Brenn- und Bauholz. Die Gewinnung des Holzes in der Ferne und sein Transport über weite Strecken konnten ein Gemeinwesen existenziell schwächen: Ab einem gewissen Punkt übersteigt der Aufwand zur Herbeischaffung von Ressourcen eben die ökonomischen Möglichkeiten einer Gemeinschaft.
Mit Zitronen gehandelt
Aufs Heute übertragen: Wenn Förderung, Aufbereitung und Transport von sibirischer Kohle oder Tiefsee-Öl fast so viel Energie verbrauchen wie die Brennstoffe am Ende hergeben, handelt man sprichwörtlich mit Zitronen. Vor diesem Problem stehen wir. Denn es wurden zwar jüngst beträchtliche neue Öl-Lagerstätten vor Brasilien und Afrika geortet. Aber was nützen sie, wenn das Öl so tief liegt, dass es kaum wirtschaftlich zu fördern ist. Optimistische Prognosen über noch in der Erdkruste steckende Vorräte an Kohle, Öl, Gas sind bloß Spiegelfechterei, solange sie nicht nach ihrer technischen Erreichbarkeit, ihrer wirtschaftlichen Förderbarkeit und ihrer Brennqualität beurteilt werden. Auch aus Rhein-Sand ließe sich heute noch Gold waschen – Aufwand und Ertrag stünden freilich in irrwitzigem Missverhältnis.
Wir erleben derzeit bei Kohle, Öl, Gas die frühe Phase einer Entwicklung, wie sie die Altvorderen im 18./19. Jahrhundert als Endstadium beim Holz erlebten: Mangel durch Übernutzung. Sprunghaftes Bevölkerungswachstum und industrielle Revolution ließen den Verbrauch von Holz in bis dahin nie gekannte Höhen schnellen. Die Wälder wurden für Bergwerke, Eisenhütten, Schiffswerften, Lokomotiven, Städte flachgelegt. Der Siegeszug der Dampfmaschine ab 1769 steigerte den Brennstoffhunger ins Unermessliche – machte Holz zu einem raren Gut und fossile Kohle zwangsweise gesellschaftsfähig.
Der Verbrauch von Kohle stieg weltweit von 10 Millionen Tonnen im Jahre 1800 auf 760 Millionen Tonnen um 1900, deckte dann 90 Prozent des Energiebedarfs, konzentriert auf die Industrieländer. Freilich war auch schon im Mittelalter vielerorts Kohle abgebaut worden. Allerdings nur in bescheidenem Maße, denn Kohle galt dazumal als Notbehelf. Man mochte sie nicht, weil dreckig, beim Verbrennen stinkend und ihre Asche für die Gartendüngung unbrauchbar.
Aber es führte an Kohle so wenig ein Weg vorbei wie nachher am Öl. Holz konnte den Energiehunger einer von 800 Millionen Köpfen um das Jahr 1750 auf 1,6 Milliarden gewachsenen Menschheit um 1900 nicht decken. Diese Entwicklung setzt sich seither in Potenz fort. Es hat sich nicht nur die Weltbevölkerung seit 1900 auf sieben Milliarden Menschen heute vervierfacht. Zugleich stieg der Energieverbrauch um das Elffache. Im globalen Durchschnitt verbraucht ein Mensch heute drei mal mehr Energie als sein Vorfahr vor 100 Jahren.
Nachholbedarf der Dritten Welt
Gemessen am damaligen Pro-Kopf-Energieverbrauch ist es, als lebten derzeit nicht 7, sondern 21 Milliarden Menschen auf Erden. Tendenz? Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf reale 9 bis 10 Milliarden anwachsen. Und ohne durchgreifende Energiewende wird der Energieverbrauch pro Kopf sich im Verhältnis zu 1900 dann mindestens vervierfacht haben. Ein Grund: Der Nachholbedarf in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Niemand kann erwarten, dass es beim jetzigen Ungleichgewicht bleibt: In Deutschland werden je Nase und Tag 137 Kilowattstunden verbraucht, in den USA gar 250, während sich Chinesen mit 34, Inder mit nur 12 kWh bescheiden.
Es ist schlechterdings undenkbar, dass ein bis 2030 noch einmal um 50 Prozent ansteigender Welt-Energiebedarf (so die Prognose) gedeckt werden kann durch die Feuer-Technik, auf der die Zivilisation bis heute beruht. Noch immer beziehen wir 90 Prozent unserer Energie aus dem Feuer, auch wenn die Flammen inzwischen dem Blick vielfach entzogen sind. Hinter fast jedem Heizkörper verbirgt sich eine Feuerstelle, sei es im Keller oder im Fernwärmewerk. Lampen, Computer, Haushaltsgeräte, Maschinen, ICEs funktionieren überwiegend nur, weil in Kraftwerken große Feuer brennen. Schiffe, Flugzeuge und weltweit 800 Millionen Autos werden von mitgeführten Verbrennungskraftwerken angetrieben . . .
Die Menschheit verbrennt derzeit täglich knapp 90 Millionen Barrel Öl. Wenn keiner die Notbremse zieht, sind es in 20 Jahren schon mehr als 130 Millionen Barrel pro Tag, also rund 50 Milliarden Barrel im Jahr. Binnen nur einer Generation (30 Jahre) würden unsere Kinder oder Enkel dann 1500 Milliarden Barrel Erdöl verheizen, bis zum Ende des Jahrhunderts wären das fast 4000 Milliarden. Daneben nehmen sich die seit 1920 insgesamt verbrannten 900 Milliarden Barrel bescheiden aus. Daneben wirken Jubelmeldungen über neu entdeckte Lagerstätten mit vermuteten Reserven im zweistelligen Milliardenbereich bloß noch lächerlich. Ähnliches gilt auch für die anderen Brennstoffe, für Kohle, Gas, Torf, ja selbst für das Holz. Denn regenerativ und klimaneutral ist Holz nur, wenn der Einschlag durch Wiederaufforstung in adäquater Menge und Aufwuchszeit ausgeglichen wird.
Menschheit in der Sackgasse
Es sind diese Dimensionen des globalen Energiebedarfs, die unmissverständlich vor Augen führen: Eine industrielle Weltzivilisation von bald zehn Milliarden Köpfen kann nie und nimmer beim Feuer als zentraler Energiequelle bleiben. Wir stehen vor einer entwicklungsgeschichtlichen Sackgasse: Je kräftiger wir die Feuer stochen, umso mehr machen wir uns via Klimawandel die Umwelt zum Feind und umso eher werden schon unsere nächsten Nachkommen ohne bezahlbaren Brennstoff dastehen.
Aus dem Feuer wurde die Zivilisation geboren, vom Feuer wurde sie genährt. Nach 700 000 Jahren muss sie sich jetzt aber vom Feuer emanzipieren, will sie nicht daran zugrunde gehen. Die Emanzipation ist zwingend, und sie ist möglich. Die Techniken sind alle da, um vom Feuer auf Sonne, Wind, Wasser und Sparsamkeit als zwar nicht einzige, aber künftig dominierende Energiequelle umzusteigen. Wir müssen wollen und uns dabei sputen. Geht nicht? Gibt’s nicht! Weil uns auf dem übervölkerten Planeten sowieso keine Alternative bleibt.
Andreas Pecht
Erstabdruck am 2. Januar 2010