Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Kleiner Garten Eden für jede und jeden („Quergedanken“)

Monatskolumne Nr. 203, Juni 2022

Nicht nur Russen haben ihre Datsche. Das Gartenstück mit Hütte oder Häuschen auf dem Land ist bei Städtern in ganz Europa seit eh und je beliebt. Die reichen Herrschaften haben ihre „Landsitze“. Die einfachen Leute bescheiden sich mit Kleinerem, um an Wochenenden oder für einige Ferienwochen der urbanen Hektik, Hitze, Stickigkeit in die Sommerfrische zu entkommen. Obendrein nutzen Letztere traditionell ihr Stückchen Freizeiterde vielfach zur Verbesserung der Familienversorgung durch den eigenhändigen Anbau von Gemüse und Obst.

In Deutschland kennt man dieses Phänomen seit dem frühen 19. Jahrhundert als Armengärten, Schrebergärten, Laubenkolonie. Noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren unserer Städte mit einem Gürtel derartiger Gartenanlagen aus Dutzenden bis Hunderten Parzellen umlagert. Inzwischen sind die meisten plattgemacht, mussten Neubausiedlungen, Straßen und vor allem Gewerbegebieten weichen. Selbstredend waren die Schreberkolonien in deutschen Landen vereinsmäßig organisiert, mit Vorstand, Statut und Nutzungsordnungen bis hin zum puristischen Benimmreglement. Weshalb urbane Freigeister über die proletarischen und kleinbürgerlichen „Laubenpieper“ lange die Nase rümpften.

Just an dieser Stelle erleben wir nun einen Zeitenwechsel. Für die wenigen verbliebenen Schreberanlagen gibt es vielerorts endlose Wartelisten. Oder nehmen wir meinen Freund Walter. Was hat er immer gemault, wenn ich seine Einladung zum bierseligen Plausch mal ablehnte mit der Begründung: Ich habe im Garten zu arbeiten. „Du und dein Bauernkrempel. Solche Erdwühlerei macht und braucht doch heutzutage kein Mensch mehr“, so motzte er stets. Und jetzt? Auf seinem verwilderten Refugium am oberen Moselhang gab es bis dato nur eine Feuerstelle mit einigen Baumstümpfen als Sitze drumherum. Nun aber hat der Freund daneben eine Kiste gebaut, die er stolz „mein Hochbeet“ nennt. Darin versuchen ein paar Salatpflanzen und Zwiebeln sich gegen reichlich Unkraut zu behaupten.

Sag nicht Unkraut!“, schimpft der Neugärtner. Und belehrt mich (der ich seit 41 Jahren einen die familiäre Selbstversorgung mit Grünzeug sichernden Garten unterhalte): „Kein Kräutchen in der Natur, das nicht für irgendwas gut wäre.“ Klar, das rechte Kraut, am rechten Ort, zur rechten Zeit. Aber unerwünschter Beiwuchs immer und überall macht eben auch Schmalhans zum Meister der Selbstversorgungsküche. Ein bisschen erfolgreicher als mit dem „Hochbeet“ draußen in der „Wildnis“ ist Walter mit seinem, wie ich es nenne, „Stubengärtchen“ in der Koblenzer Wohnkemenate. Ein Dutzend Kräutertöpfe an den Fenstern, auf dem winzigen Balkon zwei Tomatenstauden in Wassereimern sowie den ausgemusterten Einkaufskorb mit Erde befüllt, aus der tatsächlich drei Kartoffelpflanzen sprießen.

Urban Gardening“ (städtisches Gärtnern) wird der neue Trend genannt, der jetzt so viele, nicht zuletzt jüngere Städter erfasst hat. Find’ ich gut, auch wenn manche Bepflanzungsaktion mehr mit kindlicher Begeisterung als mit gärtnerischer Zielstrebigkeit betrieben wird. Egal, denn jeder Zentimeter Stadt, der begrünt wird, ist ein Gewinn. Und dass selbst auf den Dörfern in Zeiten explodierender Lebensmittelpreise mancher öde Zierrasen wieder umgegraben oder ehemalige Bauerngarten reaktiviert wird, kann Geldbeutel, Ernährungsqualität sowie körperlicher Fitness und seelischer Gesundheit nur gut tun.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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