ape. Neulich, am späten Abend eines Werktages, via A3 auf Rückfahrt von Frankfurt ins Westerwald-Domizil. Sämtliche Parkplätze proppenvoll mit LKWs; Raststätten und Tankstellen von Brummis verstopft, die sich teils bis auf den Standstreifen zurückstauen. Suchverkehr allenthalben: Das Heer der Straßenkapitäne ringt verzweifelt um Schlafplätze; ihre Fahrzeiten sind abgelaufen. Unzählige Lastwagen drängen sich in den und um die Ruhezonen – dennoch donnern zugleich endlose Trecks hüben von Süd nach Nord, drüben von Nord nach Süd. Dazwischen irrlichternde Konvois mit überbreiten, überlangen, überschweren Lasten.
Während ich mich am Transportmoloch vorbeischlängle, kommen Erinnerungen auf an oft entspannte, manchmal fast einsame Fahrten auf gleicher Strecke, am gleichen Wochentag, zur gleichen Spätabendzeit vor 25 Jahren. Plötzlich zuckt die Erkenntnis als kristallklare Emotion durch alle Sinne: Das ist Wachstum. Und es fühlt sich im Tohuwabohu der A3 nicht gut an.
Dann schwurbelt das Rätsel durch den Kopf: Obwohl die Zahl der in Deutschland und im europäischen Drumherum lebenden Menschen seit 1990 nicht gestiegen, eher gesunken ist, explodierte die Menge der Güter, die zu ihrer Versorgung aufgewandt werden. Wie kann das sein? Irgendein Wissenschaftler hat mal ausgerechnet, dass Nahrungsmittel, Kleidung und Hausrat, die eine vierköpfige Durchschnittsfamilie hierzulande Anfang des 20. Jahrhunderts über ihre gesamte Lebenszeit benötigte, einen einzigen Sattelschlepper nicht mal ganz füllen würde. In den 1970ern hätte es schon gut zweier Lastzüge bedurft, um die gleiche Familie auf dann zeittypischem Standardniveau durchs Leben zu bringen. Heute braucht es dafür schon vier bis sechs Brummis. Ginge es nach regierungsamtlichen und wirtschaftsoffiziellen Wunschvorstellungen, müssten es in 20 Jahren acht bis zehn sein.
Denn die einzige Utopie unserer globalen Eliten geht so: Fresst und sauft, was das Zeug hält. Investiert parallel in Diäten, Sport, Pillen und Kuren. Räumt zweimal im Jahr euren Kleiderschrank und macht euch mit neuester Mode begehrlich. Schmeißt im Frühjahr die im vorherigen Herbst erworbene Hausgeräte-/Unterhaltungstechnik weg und bringt euch auf den neusten Stand des Fortschritts. Das eben neue Auto ist nach längstens drei Jahren nur noch eine beschämend olle Kamelle. Was sollen euch Kaffeefilter oder Espressokännchen, wenn’s doch auch eine richtig große, digital gesteuerte Multifunktionskaffekochküchenmaschine tut. Wozu ein kleines Handy, wenn man sich eine Schulheft-große Mattscheibe vors Maul halten kann. Knutschen, streicheln, vögeln: Wie uncool ist das denn, wo doch die zweite sexuelle Revolution für gutes Geld die wahre Liebeslust kofferweise bietet in Form von Fesseln, Knebeln, Peitschen und Kneifzangen, von motorisierten Stopfern, Schüttlern und Saugern, von gummierten Körperteilen oder vollständigen multifunktionellen Loch- und Spießkörpern.
Da ertönt eine altvertraute Stimme: „Jetzt verstehst du auch, wofür das alles gut ist – damit sich niemals mehr jemand einsam fühle auf der A3; damit jeder dort und überall das Glück genieße, Teil einer großen Herde zu sein.” Jawohl ihr Lieben alle, die ihr euch Sorgen machtet: Freund Walter spricht wieder mit mir. Und sein erster Satz war: „Du glaubst doch nicht im Ernst, ich würde zulassen, dass deine kleinbürgerliche Schwäche für die Hure Facebook unsere Freundschaft beschädigt.
(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website 22. Woche im Mai 2015)