ape. In Lutz Seilers Roman „Kruso” hat mich folgender Satz regelrecht angefallen und nicht mehr losgelassen: „Ich möchte einen Platz auf der Welt, der mich aus allem heraushält.” Es war, als schalte er in der Trübnis meiner jüngsten Stimmungen das Licht dieser Erkenntnis an: Schnauze voll vom ekligen Weltengang – von Wachstumswahn und Wandlung des Menschen zur verblödeten Konsummaschine, von Auszehrung der Freiheit durch Finanzkapital und Bigdata… Erst recht die Schnauze voll von der Verarsche, dies sei „Fortschritt”. Ich möchte einen Platz auf der Welt, der mich aus allem heraushält.
„Nix da, verpissen geltet nicht! Der Herr Querdenker haben bloß den November-Blues”, platzt Freund Walter in die Melancholie und watscht mir einen Satz von Harald Martenstein auf die Backen: „Man sollte sich mit den Starken anlegen, man sollte mit jedem Text, mit vollen Segeln in den Shitstorm hineinsteuern.” Ist doch sinnlos, mein Lieber. Schau Dir bloß den Weihnachstrubel an: Der Kapitalismus hat die Quadratur des Kreises hingekriegt, er hat die Deutschen zum geizigsten Schnäppchenjäger-Volk auf Erden gemacht und lässt sie zugleich so viel Geld wie nie zuvor noch für die deppertsten Konsumgüter verschwenden.
„Ja, ja, ja, der Neoliberalismus frisst Hirne, Herzen, Leiber; manipuliert Wünsche, Lebenspläne, Glücksgefühle; deformiert Mit- und Zwischenmenschlichkeit. Schreib‘ weiter – denn verloren haben wir erst, wenn keiner mehr merkt, was vor sich geht und niemand mehr öffentlich Anstoß daran nimmt.” So spricht der Freund zornig, und während er spricht hauen meine Finger schon wieder munter in die Tasten. Dann sagt er dies: Abseits des Mainstreams gäbe es inzwischen eine Menge Leute, die mit dem Postwachstumsleben einfach schon mal anfangen. Die nicht länger auf Politik und Wirtschaft warten, weil denen zu allem sowieso nur einfiele, nach noch mehr Wachstum zu schreien. Obwohl doch jeder Vernünftige wisse, dass Umverteilung und Reduktion das Gebot der Stunde sein müssten.
Und Walter erzählt vom Spaß, den es macht, die Konsumeinflüsterer auflaufen zu lassen. Wie? Durch Verhalten nach folgenden Regeln: Die beste Kaufentscheidung ist, nicht zu kaufen. Die nächstbesten Kaufentscheidungen sind, kleiner und weniger kaufen, nur Reparierbares kaufen, primär regional kaufen, öfter gemeinsam kaufen und das Gekaufte gemeinsam nutzen. Nur kaufen, was man nach reiflicher Überlegung tatsächlich braucht und/oder dauerhaft wertschätzt. Andere Gewohnheiten einüben, die Längernutzung von Gütern den Vorzug geben vor Neuanschaffung. Selber machen, woran man Freude hat, es zu machen; etwa Obst/Gemüse ziehen, Socken stricken oder Genossenschaften gründen.
Klingt etwas abstrakt, aber Walter und ich tragen an einem schließlich (feucht)fröhlichen Abend 1000 praktische Ideen zusammen, die zeigen: Jeder kann auf seine Weise – und ohne tausende Euro für neue „Spartechnik” auszugeben – einsteigen in den Ausstieg aus dem Wachstumskarussell. Wird die Welt dadurch besser? Schlechter jedenfalls nicht. Was garantiert besser wird, ist das eigene Lebensgefühl. Denn: Sich weniger vom Lohn für unsinniges Neuzeug abluchsen zu lassen, macht gute Laune, nützt der Umwelt und unseren Nachfahren. Gleich tönt Wehgeschrei aus allen Oberetagen: Würden Millionen so verfahren, das Wachstumsmodell wäre im Eimer. Dazu Walter: „Das ist der Sinn der Sache.” Und jetzt ein Shitstorm der Wachstumsfraktion.
(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 48. Woche im November 2014)