ape. Sie sind dem Publikum vertraut als engagiert musizierende Damen und Herren, die Mitglieder des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie. Man kennt sie, oft seit Jahren, gar Jahrzehnten; sieht sie meist mit festlichem Zwirn gewandet in der Rhein-Mosel-Halle, im Saal des Görreshauses, im Graben des Koblenzer Theaters oder auf Konzertbühnen anderwärts. Doch die Öffentlichkeit vergisst oft, dass diese Orchestermusiker auch lohnabhängig Beschäftigte sind, ganz normale Angestellte mit hierzulande ganz normalen Pflichten und eben auch Rechten. Etwa dem Recht auf freie Wahl einer Belegschaftsvertretung, die die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber vertritt. Mit dem beim Koblenzer Orchester aus fünf Vertretern bestehenden „Personalrat“ habe ich gesprochen, um mal einen Blick hinter den Kulissen auf dieses Gremium zu werfen.
Gesprächstermin im Görreshaus, dem Domizil der Rheinischen. In der Cafeteria warten die Personalrätler bereits auf den Besucher. Sie sind gerade noch vertieft in eine Unterredung mit dem Orchesterintendanten Günter Müller-Rogalla. Wobei „Unterredung“ vielleicht der falsche Ausdruck ist, weil er zu formell klingt für die locker-freundliche Plauderei der beim Pausenkaffee mit dem Statthalter ihres Arbeitgebers, des Landes Rheinland-Pfalz, zusammenstehenden Belegschaftsvertretern. Man spricht miteinander, sichtlich unverkrampft und auf Augenhöhe, was in deutschen Orchestergefilden keineswegs selbstverständlich ist. Mancherorts verkehren die beiden Seiten fast nur noch schriftlich miteinander, bisweilen auch per Anwalt. Denn natürlich sind beider Interessen nicht automatisch deckungsgleich. Zwar wollen alle den Erfolg des Orchesters, doch während der Intendant qua Amt nicht zuletzt dessen Gesamtkosten und Vermarktung im Auge haben muss, ist es dem Personalrat aufgegeben, sich für Einzel- und Kollektivbelange der angestellten Kollegenschaft einzusetzen.
Nicht auf Streit gebürstet
In Koblenz sind die beiden Seiten offenbar nicht auf Konflikt um jeden Preis gebürstet, sondern suchen die Verständigung. Bei besagter Cafeteria-Unterhaltung geht es um ein handfestes Problem: Ab wann wird bei einem anstehenden Auswärtsauftritt die Reisedienstzeit gerechnet? Tickt die Uhr bis zur Ankunft am Hotel oder bis zur Ankunft an der Konzertstätte? Die diesbezügliche Regelung im Tarifvertrag scheint nicht ganz eindeutig formuliert zu sein, gibt Interpretationsspielraum. „Pipifax“ mag mancher Außenstehende vielleicht meinen, verkennt dabei jedoch: Angesichts der Vielzahl von Auswärtsgastspielen, die das Koblenzer Orchester gibt, kann sich der Zeitunterschied für den einzelnen Musiker bald zu etlichen Stunden und ganzen Dienst-Tagen summieren. Mancherorts liegen Unterkunft und Konzerthalle eben nicht nur wenige Wegminuten auseinander. „Wir werden eine Regelung finden“ signalisiert Müller-Rogalla kompromissbereit, und es wird zeitnah ein ausführliches Gespräch zwecks Lösung oder Entschärfung des Problems vereinbart.
Der Chef verabschiedet sich, und wir ziehen um in ein Räumchen auf dem Flur der Orchesterverwaltung, das laut Türanschlag „Orchestervorstand / Personalrat“ vorbehalten ist. Was sogleich die Frage nach dem Unterschied zwischen diesen Gremien aufwirft. Denn beide sind Mitbestimmungsorgane des Personals. Klarinettist Martin Walter, Vorsitzender des Personalrates, erklärt es, und ich verstehe dies: Der Orchestervorstand wird nur vom Orchester gewählt, vertritt den Klangkörper in künstlerischen Fragen und hat ein besonderes Mitspracherecht in diesem Bereich. Er kümmert sich um die „innere Chemie“ im Orchester bis hin zu den Beziehungen zwischen Chefdirigent und Musikern. Sobald hier allerdings schwerwiegende arbeits- und/oder tarifrechtliche Aspekte zum Tragen kämen, würde die Zuständigkeit des Personalrats greifen. Dieser wird von der gesamten Belegschaft gewählt, ist für die Vertretung der Arbeitnehmerrechte aller Angestellten im Haus zuständig, von den Musikern über die Orchesterwarte bis zu Bürokräften und angestelltem Reinigungspersonal. Somit vertritt der Personalrat des Koblenzer Staatsorchesters rund 75 Musiker mit Vollzeit-, Teilzeit- oder Fristverträgen plus einige Praktikanten sowie 16 Kollegen aus dem nichtkünstlerischen Bereich.
„Unser altes und neues Testament“
Das spiegelt sich in der Zusammensetzung des jeweils für vier Jahre gewählten Gremiums wider. Dem gehören neben dem Vorsitzenden Walter derzeit an und sind auch bei unserem Treffen zugegen: Flötistin Birgit Salzwedel, Cellistin Bettina Hagedorn, Kontrabassist Lothar Hänsel und aus dem Orchesterbüro die Verwaltungsangestellte Bettina Bucksch. Sie alle zusammen sind, was man in der freien Wirtschaft Betriebsrat nennt. In einer Dienststelle des Landes heißt das eben Personalrat – der alle vier Jahre im Frühling zeitgleich mit den Räten sämtlicher rheinland-pfälzischer Landesinstitutionen nach einem genau reglementierten Verfahren gewählt wird. Und die Rheinische Philharmonie ist als Landesbetrieb de jure solch eine Dienststelle, der Intendant demnach „Dienststellenleiter“ (ein Wort, bei dem Müller-Rogalla manchmal ein wenig die Augen rollt). Grundlage der Gremienarbeit sind das „Landespersonalvertretungsgesetz“ und der TVK. Die drei Buchstaben meinen den „Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern“. Der ist bundesweit ausgehandelt zwischen der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) als Musikergewerkschaft und dem Deutschen Bühnenverein als Arbeitgeberverband; der Tarifvertrag regelt die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der im Orchester Angestellten. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist bei den großen Musikerkollektiven nicht nur in Deutschland traditionell sehr hoch; für die Rheinische Philharmonie liegt er bei gut 90 Prozent.
Die beiden genannten Regelwerke mit den sperrigen Namen bezeichnen meine Gesprächspartner schmunzelnd als „unser altes und neues Testament“. Will sagen: Darin ist festgelegt, worum sich der Personalrat kümmern darf, soll, muss, was er vom Arbeitgeber einfordern kann und welche Verfahrensweisen offiziell jeweils einzuschlagen sind. Verhandlungspartner am Ort ist der Orchesterintendant. Frage: Wie aber wird verfahren, wenn es um Arbeitsbedingungen im Theater der Stadt Koblenz geht, wo die Musiker ja einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitszeit verbringen? Verhandelt der Personalrat dann mit dem Theaterintendanten? Antwort: „Nein, dafür haben wir kein Mandat. Natürlich spricht man informell schon mal das eine oder andere an. Aber der reguläre Weg für uns als Personalrat geht so: Wir diskutieren mit dem Orchesterintendanten ein anstehendes Problem im Theater, verdeutlichen ihm die Lösungsinteressen der Musiker; Müller-Rogalla muss dann an den Theaterintendanten Markus Dietze herantreten und mit ihm die Sache klären.“ Nicht eben einfach, das Verfahren, doch im Zusammenwirken einer Landesdienststelle (Orchester) mit einem städtischen Amt (Theater) wohl nicht anders zu machen. Da die jetzigen Leitungspersonen beider Einrichtungen dem Vernehmen nach ziemlich gut miteinander können, sind gravierende Konflikte derzeit nicht virulent.
Das gilt auch für das Verhältnis innerhalb der Rheinischen Philharmonie zwischen Personalrat und Orchesterintendanz. Die Belegschaftsvertreter sprechen von einem konstruktiven, offenen, allzeit gesprächsbereiten und wechselseitig respektvollen Klima. Was unter vorherigen Intendanten im Prinzip auch so gewesen sei. Doch niemand will in diesem Gespräch alte Geschichten aufwärmen. Wir gehen lieber der Frage nach, was der Personalrat jüngst auf der Agenda stehen hatte und aktuell stehen hat. Da geht es vor allem um ganz alltägliche Dinge. Um Dienstpläne etwa. Der Personalrat ist als Mitbestimmungsgremium in deren Aufstellung einbezogen, hat die Einhaltung der tariflichen Vereinbarungen hinsichtlich Dienstehäufung und Freizeitausgleich im Auge, setzt sich für die Vermeidung von Härten ein, bemüht sich auch mal um Berücksichtigung besonderer Situationen bei einzelnen Kollegen oder eben um eine optimale Regelung der Reisezeitanrechnung. Er achtet darauf, dass die Musiker ihre Rechte auf Elternzeit, Teilzeit oder Krankenzeit wahrnehmen können, dass vor Neueinstellungen die Probespielordnung eingehalten wird oder dass die Orchesterpraktikanten und die Stipendiaten der Koblenzer Orchesterstiftung gleichwertig angemessen honoriert werden.
Funktion eines sozialen Wächters
„Es geht da um die Gesundheit der Kollegen, um Sozialkontakte, um ihre und ihrer Familien Lebensqualität“ erklärt man mir. Und aus eigenen Erfahrungen kann der Kulturjournalist sehr gut nachvollziehen, welche Belastungen das mit sich bringt: unregelmäßige Arbeitszeiten, zahllose Abenddienste bis spät in die Nacht, viele Einsätze gerade an Wochenenden und Feiertagen, immer wieder weit fahren oder auch auswärts übernachten müssen. „Kunst zu machen, im Orchester zu musizieren, ist eine wunderbare Sache“, meint Birgit Salzwedel, „aber es bedeutet eben auch harte Arbeit unter keineswegs leichten Bedingungen.“ Und der Personalrat nimmt, so Lothar Hänsel sinngemäß, die Funktion eines Wächters wahr, der aufpasst, dass die Menschen dabei nicht unter die Räder kommen.
Nein, Günter Müller-Rogalla sieht das gar nicht wesentlich anders; er war schließlich auch mal zeitweilig als Musiker im Orchester tätig, in seiner frühen Zeit als Lehrer an der Kreismusikschule St. Wendel dort sogar selbst Personalratsmitglied. Mit dem Intendanten sprach ich anschließend, quasi um die „Gegenseite“ zu hören. „Die Fürsorgepflicht für die Beschäftigten ist eine ganz wichtige Aufgabe jedes leitenden Verantwortlichen“, sagt er mit gebotenem Ernst. Gleich danach kommt die „Informationspflicht“ des Chefs gegenüber den Mitarbeitern und ihren Vertretungskörperschaften. „Es ist doch ganz einfach“, erläutert der Intendant seine Marschrichtung: „Ist die allgemeine Atmosphäre im Haus gut, und gibt es kaum Streit, Muffigkeit, Unzufriedenheit, dann lässt sich mit Schwung und Freude auch gut und erfolgreich arbeiten.“ Deshalb stehe seine Tür für den Personalrat immer offen, suche man die kurzen und möglichst schnellen Wege zur Verständigung.
Belegschaft möglichst früh einbeziehen
Für Müller-Rogalla ist es nach eigenen Worten selbstverständlich, die Mitbestimmungsgremien möglichst früh in sämtliche Planungen einzubeziehen. „Mir ist es am liebsten, wenn wir über denkbare Probleme sprechen und sie schon lösen, bevor sie überhaupt eintreten.“ Die Methode scheint zu funktionieren, denn der Intendant beschreibt das klimatische Verhältnis zwischen Personalrat und ihm mit fast denselben positiven Worten wie zuvor die fünf Personalratsmitglieder. Also Friede, Freude, Eierkuchen im Görreshaus? Mitnichten, es gibt naturgemäß immer wieder Momente, wo etwas hakt, unterschiedlich gesehen und kontrovers besprochen wird. Aber es gibt eben auch eine Atmosphäre der Offenheit und eine spürbar hochentwickelte Kultur der Konfliktbewältigung. Weshalb beide Seiten, Personalrat und Intendanz, unabhängig voneinander bestätigen, es gäbe derzeit im Innenbetrieb der Rheinischen Philharmonie keinerlei schwerwiegende Streitpunkte.
Was der Belegschaft aktuell als Problem vor allem auf den Nägeln brennt, ist – der Klimawandel. Was hat das Orchester damit zu schaffen?, mag die Leserschaft fragen. Nun, der vergangene von April bis Oktober währende Hitzesommer bescherte den Musikern eine in diesem Ausmaß noch nicht gekannte heftige Dauerbelastung. Sowohl im Saal des Görreshauses wie auch im Orchestergraben des Koblenzer Theaters wurde die Hitze zur Tortur. Da muss durch wirksam klimatisierende Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden, fordert der Personalrat – und stößt damit beim Orchester- und ebenso beim Theaterintendanten auf offene Ohren. Die Vorplanungen laufen, die baulich-technische Umsetzung ist in beiden denkmalgeschützten Häusern nicht ganz einfach. Aber alle Seiten ziehen in diesem Fall offenbar an einem Strang.
Andreas Pecht
Foto: Peter Fröhlich