Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Zauberlehrlinge ohne Meister („Quergedanken“)

Monatskolumne Nr. 214, Mai 2023

„Das ist der geilste Scheiß des Jahrhunderts!“ Freund Walter ist kaum noch vom Computer wegzukriegen. Was er da treibt, oft die ganze Nacht? Er korrespondiert, laboriert, diskutiert – mit Maschinen. Er probiert, was allein schon die Hände eines Laien mit KIs (den sogenannten Künstlichen Intelligenzen) anfangen können, über die jetzt aufgeregt mal vor Begeisterung, mal vor Entsetzen pallavert wird. Hoffentlich lässt er sich wieder in unsere Normalität zurückholen. Mir ist schon mies zumute, weil ich ihn zu dieser Beschäftigung animiert habe: Teste du den KI-Krempel praktisch, ich lese derweil die Analysen, Prognosen, Nachdenkaufsätze dazu. Eine Gefahr der neuen Technik steht mir bereits leibhaftig vor Augen: Sie hat einen wenig technikbegeisterten Kerl wie Walter derart in den Bann geschlagen, dass er lieber mit ChatGPT rummacht als mit seiner Freundin.

Um ein Zwischenergebnis gebeten, erklärt er: „Einerseits sind die Dinger strunzdumm, andererseits aber auch irgendwie blitzgescheit. Einerseits schaffen sie intuitive Denkverbindungen nicht, die jedes Kleinkind beherrscht; andererseits können sie Aspekte aus einem schier unendlichen Faktenschatz zu in sich schlüssigen Kombinationen verarbeiten.“ Schließlich bringt Walter seine bisherige Testerei so auf den Punkt: „Von echter Intelligenz noch keine Spur. Aber, verdammich, die Viecher lernen in irrem Tempo dazu – nur lässt sich oft kaum nachvollziehen, wie sie das machen und was das aus ihnen jetzt oder demnächst macht.“

Das deckt sich in etwa mit dem, was ich in Artikeln von Fachleuten gelesen habe. Danach scheint aber auch völlig klar, dass die neue Technik zeitnah alle Lebenssphären stark beeinflussen bis gänzlich umkrempeln wird. „KIs bringen den größten Produktivfortschritt seit drei Jahrzehnten“ schwärmt ein Windows-Chef. Andere sprechen gar von einer „disruptiven Innovation“, die das menschliche Dasein radikaler umwälzen werde als selbst das Internet, die Dampfmaschine, ja das Rad.

„Man darf keinem Foto, Video, Text mehr trauen. Mit Hilfe der KI kann jeder Depp einen Papst zeigen, der mit eigener Stimme Loblieder auf den Teufel singt, oder einen Friedrich Merz, der nackt bei Mondenschein dem Kommunismus huldigt“, erläutert Walter nur eine der gefährlichen Seiten dieser Technik. Sie dürfte gewiss auch segensreiche haben, nicht zuletzt hochprofitable für die Tech-Konzerne, in deren Händen die KI-Entwicklung konzentriert ist. Doch siehe, ein Wunder: Es sind weniger die Technikskeptiker, die warnend den Zeigefinger heben; vielmehr geht den Erfindern, Entwicklern, Vermarktern der KI-Technik plötzlich selbst der Arsch auf Grundeis.

Etliche Tausend führende KI-Leute flehen in einem Brief die Regierungen der Welt geradezu an, die eigene Zunft zu regulieren und einen halbjährigen Stop der KI-Entwicklung durchzusetzen. Sowas war noch nie da. Die Ungewissheit/Unwissenheit über das, wozu ihre Kunstgeister ab einer gewissen Stufe mutieren oder was Menschen damit anstellen könnten, ängstigt deren Schöpfer offenbar erheblich. Da kommt einem Goethes Zauberlehrling in den Sinn. Der schreit nach des Meisters Hilfe, in dessen Abwesenheit er Geister rief, derer er nicht mehr Herr wird. Darauf Walter: „Im KI-Falle gibt es jedoch keinen rettenden Meister, die Zauberlehrlinge sind unter sich – und wissen nicht, was sie tun; tun es aber.“ Na wenn das so ist, dann schalt den PC halt endlich ab und lass uns in den Biergarten gehen.

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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