ape/Bonn. Viele leere Plätze im Zuschauerraum. Das ist ungewöhnlich für Premieren im großen Schauspielhaus des Theaters Bonn in Godesberg. Nach der Pause sind es noch ein paar mehr. Zur Uraufführung kommt „Love you, Dragonfly” von Fritz Kater alias Armin Petras. Im Untertitel wird die Liebeserklärung an eine Libelle bezeichnet als „Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens”.
Um Religion geht es darin zwar allenfalls indirekt in Form von deren Abwesenheit. Das kann man vorher aber nicht wissen. Jedenfalls scheint unter Theaterfreunden das Interesse an jüngst so hitzig diskutierten Glaubensthemen zu erlahmen.
Cora Saller hat für Alice Buddebergs Inszenierung eine Spielfläche gebaut aus vorne offenem, nach hinten steil ansteigendem Halbrund mit umlaufender Wand und einer durchgehenden Sitzbank daran. In diesem an einen Wartesaal erinnernden hermetischen Raum mühen sich fünf Schauspieler redlich, versiert, mal mehr, mal weniger eindrücklich mit sechs Geschichten – von denen mindestens die Hälfte wie gar nicht für die Bühne geschaffene literarische Miniaturen gewirkt sind. Die Neigung des Zusehers ist deshalb groß, die Augen zu schließen und im Geiste das Gesprochene in Geschriebenes rückzuverwandeln. Kurzum: Diese Stories taugen wohl eher zum Lesen denn zum Spielen.
Sechs Episoden reihen sich im Wartesaal der Geschichte zu einer sprunghaften Zeitreise. Die beginnt 1935 in der stalinistischen Sowjetunion bei einem jungen Paar. Dessen männlicher Teil (Sören Wunderlich) hat sich mit Leib und Seele der Sache des Sozialismus verschrieben, während die Frau (Mareike Hein) ihr Leben ganz und gar der Liebe zum Gatten weiht. Ein unauflösbarer Widerspruch. Es regnet Buchstaben vom Schnürboden, aus denen die Akteure das Wort „Liebe” zusammensuchen und als Leitmotiv dieser Szene an die Wand pappen.
Der im Untertitel angesprochene „Glaube” manifestiert sich in diesem Fall als unauflösbarer und tragisch endender Widerspruch zwischen dem Glauben an absolute Liebe zu einer (politischen) Sache und an ebensolche Liebe zu einem Menschen. Nachher haften an anderen erpuzzelten Begriffen Szenen mit anderen Arten des Glaubens in unterschiedlichen Zeiten: „Familie”, „Fortschritt”, „Gott”, „Freiheit” und schlussendlich „Leben” werden angeklebt.
1969 wird ein 13-jähriges Mädchen von eben jenem Sonderling vergewaltigt, dem als einzigen Menschen sie je vertraut hatte. 1985 träumt ein NVA-Soldat (Birte Schrein) in seinem Panzer davon, in den Westen zu gehen. 2014 trifft ein saturierter Professor sein ehemals süßes afrikanisches Adoptivkind (Lena Geyer), das zum Möder geworden ist. 2018 baut sich ein geschäftstüchtiger Amerikaner eine Roboterin als Ersatz für seine geliebte Nathalia, die keinen Sex mehr mit ihm haben will; obendrein gründet er eine Firma für Geschlechtsumwandlungen, deren erster Kunde er selbst ist.
Holger Kraft macht den Umwandlungsprozess als bittersüßes Bravourstück monologischer Schauspielerei zum Höhepunkt des fast dreistündigen Abends – der einem sonst wegen seines weithin schieren Hörspielcharakters aus wenigen Dialogen, vielen Monologen und Erzählpassagen noch viel länger vorkommt. Die titelgebende Libelle taucht nur ein einziges Mal in der Erzählung über das 13-jährige Mädchen auf. Im Übrigen glänzt dies Symbol für Schönheit, Leichtigkeit, Zartheit, Ungebundenheit durch Abwesenheit. Will wohl sagen: Die Sehnsucht nach solch lichtem Wesenskern des Lebens existiert ewiglich, auch wenn wir ihn selbst ständig verlieren oder zerbrechen. Andreas Pecht