ape.Koblenz. Uraufführungen aktueller Kompositionen haben im Klassikbetrieb vor allem abseits der Musikmetropolen noch immer Seltenheitswert. Es heißt, das Publikum sei noch nicht bereit für die oft atonalen Schöpfungen von Gegenwartskünstlern in der durch Ligeti, Henze, Messiaen, Berio, Boulez und anderen geprägten Linie moderner Kunstmusik. Sollte diese seit Jahrzehnten gepflegte Einschätzung sich als überholt erweisen? Der begeisterte Applaus spricht dafür, mit dem die Uraufführung eines Trompetenkonzerts des Kölner Komponisten Wilfried Maria Danner durch die Rheinische Philharmonie Koblenz jetzt aufgenommen wurde.
„Auf neuen Wegen“ ist das Sonntagskonzert im Koblenzer Stammhaus des Orchesters programmatisch betitelt, bei dem das etwa 20-minütige Werk Danners erstmals öffentlich erklingt. Gerahmt wird es von Mendelssohn Bartholdys „Die Hebriden“, Haydens Trompetenkonzert Es-Dur und der ersten Beethoven-Sinfonie. Unter Garry Walkers Dirigat werden die Stücke – die zu ihrer Zeit auf je eigene Weise neue Wege gingen – schön durchhörbar, präzise und mit feinen, emotionalen Farbenkontrasten einnehmend musiziert. Den Solopart übernimmt bei Haydn wie beim Uraufführungswerk als Gast der Trompeter Reinhold Friedrich, international hoch angesehener Spezialist für Neue und Alte Musik gleichermaßen.
Ihm hat Danner sein in fünf Abschnitte gegliedertes Trompetenkonzert „herzlichst zugeeignet“. Zugleich verlangt er dem Solisten ein denkbar breites Spektrum an Ausdruckformen und Spieltechniken ab: von kräftezehrenden Flügen in fast schmerzhafte Diskantlagen über virtuose Tempoläufe, Flatterlippen und Mehrfachzungenschlag bis hin zu ganz zart durchs Blech gehauchten Schnurr-, Blubber-, Streicheltönen. Und wo Danner vage Brücken zum Jazz schlägt, fühlt man sich nicht zufällig an Miles Davis erinnert.
Die von der Rheinischen Philharmonie beim 62-jährigen Kölner in Auftrag gegebene Komposition trägt den Titel „Apparition – zoom, éclairs …ad infinitum…“. Will wohl sagen: Flüchtiges Erscheinen, kurz näher betrachtet, blitzartiges Aufleuchten, endlos sich fortsetzend. Und so erlebt der Zuhörer das Werk auch: Als komplexes Konstrukt aus zahllosen Klangentwicklungen, die mal nur momenthaft aufscheinen, mal ineinander greifen und aufeinander aufbauen. Zwei ruhige Abschnitte sind als Notturno gekennzeichnet, nehmen in Andeutungen mehrfach Bezug auf das Eingangsmotiv des Adagiettos in der 5. Mahler-Sinfonie.
Danner scheut den tonalen Wohlklang keineswegs. Doch gilt er ihm allenfalls als gleichberechtigter Partner atonaler Klänge wie jener Klangexperimente, die diese Komposition fürs Auditorium ungemein spannend machen. Klassisches Kammerorchester erweitert um Akkordeon, Celesta, Keyboard, E-Bass, Saxophon, allerhand Schlagwerk; dazu bei Streichern und Bläsern ungewöhnliche Spielweisen; alle zusammen in wechselnder Kommunikation mit der Solotrompete: Der fünftönige Dissonanzakkord, den der Komponist durch mannigfache Modulationen führt, bis zur Unkenntlichkeit wuchern oder schrumpfen lässt, öffnet so ständig neue, erstaunende, interessante bis verstörende wie betörende Türen im Hörhorizont.
„Gebt uns mehr davon!“ scheint der Publikumszuspruch im Görreshaus sagen zu wollen. Dem entsprechen die Pläne von Philharmonieintendant Günther Müller-Rogalla und Chefdirigent Walker: Die nächste zeitgenössische Komposition ist für die Saison 2020/21 bei einem anderen Gegenwartskomponisten in Auftrag gegeben, weitere Uraufführungen sollen im Zwei-Jahres-Rhythmus folgen. Andreas Pecht