Seit Wochen kriege ich zwei Sätze nicht aus dem Kopf, die mir beim Zeitungslesen zwischen die Füße gefallen sind. Der erste geht so: „Die Kasse muss stimmen, aber zu viel rechnen macht schlechte Laune.“ Das scheint mir eine kluge Haltung bei allen Geldfragen zu sein und dem Finanzsektor die angemessene Bedeutung zuzuweisen. Hieße etwa für die Renten- und Lohndiskussion: Schluss mit der dämlichen Zuschuss- und Ergänzungs-Rechnerei! Auskömmliche Löhne und Grundrente für alle, basta! Der zweite Satz prickelt in seiner weisen Schlichtheit ähnlich angenehm durchs Hirn: „Ich bin nicht gegen diese Maschinchen, aber ich selbst benutze keines.“ Gemünzt war der Ausspruch auf Handys und Smartphones.
Dieser Satz steht in der Tradition aufgeklärter Toleranz. Danach möge jeder nach eigener Fasson glücklich werden. Für die meisten Zeitgenossen scheint Glück neuerdings an das Gefühl gebunden, quasselndes, wedelndes, tippsendes Anhängsel eines weltumspannenden Digitalnetzes zu sein. Ihr diesbezügliches Verlangen ist so stark, dass es die herkömmliche Geselligkeit verdrängt. Da hocken Freunde zusammen, reden aber nicht miteinander, sondern kommunizieren jeder für sich mit der großen weiten Welt – und selbst von einem Bierdeckel zum nächsten am liebsten via Facebook, E-Mail oder SMS. Ihre Sache. Mein Glück geht anders, stellt sich dann verstärkt ein, wenn ich mich vom Netz abkopple, wieder Herr meiner Zeit, Gedanken, Gefühle bin.
Ach Gott, werden Sie sagen, schon wieder dieser Technikpessimismus. Und Sie werden darauf verweisen, dass es auch bei Einführung des Fernsehens geheißen hatte, die Glotzerei mache dumm, dick, träge, einsam. Ist es etwa so gekommen? Antwort: Ja, genau so. Nur merken wir es nicht, weil täglich drei, vier und mehr Stunden vor der Mattscheibe so normal geworden sind wie die Abwesenheit von Wirtshäusern auf den Dörfern, das Wegschrumpfen der Vereine oder die quotengeile Zurschaustellung völliger Verblödung. Ich bin nicht gegen das Fernsehen, aber ich ringe darum, meinen Fernsehkonsum zu reduzieren – um mehr Lebensqualität zu gewinnen.
Mehr Reisequalität hatte sich Freund Walter versprochen, als er jüngst für eine ICE-Fahrt bei der Deutschen Bahn einen Platz in der „Ruhezone“ buchte. Handy-Nutzung ist da nämlich verboten. Eigentlich. Doch im Ruhe-Waggon scherte sich kein Mensch um die überall angebrachten Schilder mit durchgestrichenem Handy. Eine halbe Stunde erduldete er das permanente Gebimmel, Getute, fernmündliche Geschwalle. Dann stellte er sich mitten in den Gang, zog eine fette Zigarre aus der Tasche und führte demonstrativ sein Feuerzeug in Richtung Tabakrolle. Ein Aufschrei der Empörung ringsumher – auf den der Freund mit der gelassenen Erklärung antwortete: „Wenn das Zeichen mit dem durchgestrichenen Handy bedeutet, dass Telefonieren in diesem Wagen erlaubt ist, dann kann das Zeichen daneben mit der durchgestrichenen Zigarette nur bedeuten…..“. Von da an herrschte Ruhe in der „Ruhezone“.
Es gibt übrigens ein paar interessante Zeichen am Horizont. In Hamburg, Berlin und Frankfurt kursieren Einladungen zu einem neuartigen Typ von Parties: die No-Smartphone-Party. Von jüngeren Leuten zwischen 25 und 35 in Mainz und Bonn höre ich, dass beim gemeinsamen Ausgehen und/oder Feiern in gewissen Kreisen die Benutzung von Smartphones inzwischen als ziemlich uncool gilt. Siehste: Walter und ich waren mal wieder Trendsetter.
(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website Woche 39 im September 2012)