Es gibt Dinge, die man ändern kann, und andere, die sind unabänderlich. Dass alle Menschen älter werden und schlussendlich ins Gras beißen, ist unabänderlich. Jeder weiß das, und trotzdem unternehmen tagtäglich Millionen die oft lachhaftesten Anstrengungen, gegen dies Schicksal anzustinken. Sie wollen ururalt werden – aber bitteschön bei bester Gesundheit, properem Aussehen und sprudelnder Libido. Die Völker und Kulturen werden sich weiter durchmischen, das ist ebenfalls unabänderlich. Man kann nicht Weltmärkte schaffen, erdumspannende Kommunikationsflüsse und Verkehrsverbindungen einrichten, zugleich aber erwarten, dass die Leute daheim bleiben – die Teutschen bitteschön in Teutschland, die andern anderwärts.
Der Geist ist längst aus der Flasche. Er war nie wirklich drin: Der evolutionäre Erfolg des Homo sapiens ist seiner Fähigkeit zur Veränderung geschuldet, und keine seiner Kulturen konnte je lange neuen Einflüssen widerstehen. Über das vergebliche Abschottungsbemühen der Sarrazine und Seehofers hätte man am Hofe von Stauferkaiser Friedrich II. nur den Kopf geschüttelt: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wäre weder von Speyer noch von Sizilien aus regierbar gewesen ohne das Miteinander nord- und süddeutscher, italienischer und römischer, orientalischer, griechischer, jüdischer Geister und Kulturen.
„Genug jetzt, Herr Oberlehrer“, grummelt Walter. „Stimmt alles, trotzdem geht mir die Totalinvasion durch amerikanische Hamburger-Brätereien und Kaffeepanscher auf den Sack. Erst recht kann ich es bald nicht mehr aushalten, an jeder Ecke, selbst im Supermarkt, beim Bäcker, an der Wirtshaustheke oder auf dem Autobahn-Klo per Flimmerkiste ungefragt mit Dumpfbackenwerbung und Hüpfdohlenvideos bestrahlt zu werden.“ Aber lieber Freund, das hat doch nichts mit der aktuellen Diskussion um muslimische Überfremdung des Landes zu tun!
Darauf er: „Religion geht mich nix an. Damit mag es jeder halten, wie er will. Von mir aus kann auch jeder anziehen, was er will: Kopftuch oder Texashut, Kaftan oder Nadelstreifen mit Schlips, Burka oder Halbarschmini. Dummköpfe können da wie dort drinstecken. Das ist wohl so unabänderlich wie die Tatsache, dass unsere Kultur ebenso in Athen und Sparta, Königsberg und Weimar wurzelt wie in Jerusalem und Rom. Ich aber rede von der wirklichen Überfremdung durch schlechtes Essen und die Dauerbelästigung mit lauthalsem Schwachsinn. Das wären nun Dinge, die nicht unabänderlich sind.“ Sagt’s, und verabschiedet sich mit der bei den Gegnern eines neuen unterirdischen Bahnhofes in Stuttgart entlehnten Grußformel: „Oben bleiben!“.
Diesen Slogan versucht Walter jetzt hier daheim zu etablieren. Denn was die Bahn angeht, sind renitente Schwaben und Mittelrheiner quasi natürliche Verbündete: Für den S21-Wahn würden jene Milliarden unnütz verpulvert, die man dringlich bräuchte, um das Rheintal vom Lärmterror zu entlasten. Aber die Solidarität kommt noch nicht richtig in Gang. Allzu viele Zeitgenossen am Rhein mögen kaum glauben, dass die S21-Planungen Humbug sind und völlig chaotisch. Dabei sollten gerade Rheinland-Pfälzer wissen, wie es bei politisch gewollten Gigantprojekten zugeht. Schließlich haben sie den Nürburgring vor der Tür. Und Stuttgart 21 ist ein zwanzig mal größeres, komplizierteres und teureres Vorhaben. Was mag dort erst alles schiefgehen – wenn in der Eifel schon eine simple Achterbahn nicht in Gang kommt oder bei einer neuen Veranstaltungshalle für etliche Tausend Besucher einfach die Toiletten vergessen werden.