Man hat uns gesehen. Freund Walter und mich, am Schwerdonnerstag auf dem Kölner Hauptbahnhof. Er sich von mir verabschiedend, um mit einem Schwarm schwäbischer Närrinnen Richtung Schunkel-Märkten zu ziehen. Ich in Eile, weil mein Anschlusszug nach Berlin schon ausgezählt wird. Die Mädels sind eigens von Stuttgart her über Koblenz mit demselben Zug angereist wie wir. Nicht Walters, sondern des dionysisch-kölschen Ringelpietzes wegen; was später am Tag keinen Unterschied mehr macht. Womit auch die Unterstellung einiger Leser widerlegt wäre, Walter und ich seien ein Paar. Bisweilen sind wir ein Kopf und ein Ar…, ansonsten aber krankhaft fixiert aufs weibliche Geschlecht.
Jedenfalls ist nun entdeckt, dass wir über Fastnacht den Mittelrhein fliehen. Einer nach dem Motto „wenn schon doll, dann größtmöglich“. Der andere nach der Devise: „Je weiter weg von den Dollhäusern, umso besser.“ Da kommt mir Preußens und unser aller Hauptstadt gerade recht. Zumal die regierungsgeschäftlich dorthin verschlagenen Rheinländer justament auf Heimaturlaub sind. Folglich schlurfe ich als Ehrengast des Bundestages durch die vereinsamten Flure der inneren Bezirke desselben. Kein Mensch weit und breit, nur droben in der Kuppel naseweise Volksmassen und am Hintereingang Wachleute beim Frühstück.
Was soll ich berichten aus dem Herzen der Macht? Es gibt dort beheizte und ordentlich möblierte Raucherzimmer. Auf dem Klo der FDP-Fraktion fehlt das Papier. Bei den Grünen kommt nur heißes Wasser aus den Hähnen. Ein Aufzug zwischen SPD- und CDU-Büros ist mit rohen Brettern vernagelt. An Überwachungskameras herrscht kein Mangel – die beobachten der Sicherheit wegen die Abgeordneten. An deren Stelle würden mich die Setzrisse im Verbindungsgang zwischen Reichtstag und Abgeordnetenhaus mehr beunruhigen: Der Gang führt unter der Spree hindurch. Auf der Meile von Brandenburger Tor über Parlament bis Kanzleramt zieht’s wie Hechtsuppe. Weswegen zwar das reichlich schwarz-rot-goldene Tuch ringsum hübsch flattert, menschliche Hirne indes zu fröstelnder Trägheit neigen.
Ein paar Schritte weg vom Regierungsviertel beginnt das große Berlin. Ach, nenne mir keiner mehr Koblenz oder Mainz eine Großstadt – mögen am Rhein Bier, Schnitzel und Pizza, Theatergarderoben und Parkhäuser auch deutlich teurer sein als an der Spree. Mainz bleibt Mainz und Koblenz ein nettes Städtchen. Beiden fehlt so mancherlei zur urbanen Metropole. Etwa ein Nahverkehrsnetz, das Stadtteile und Umland im Minutentakt rund um die Uhr anbindet. Berlin hat so ein Netz, Millionen benutzen es so selbstverständlich wie unsereins das Telefon. Verglichen damit steckt die Mittelrhein-Region in der verkehrstechnischen Steinzeit. Allerdings können dennoch in Berlin etliche zehntausend Deppen von ihren dort überflüssigen Karren nicht lassen.
Wieder daheim! Ich mit heilen Knochen, trotz mancher U-Bahn-Fahrt selbst durchs nächtliche Berlin. Walter – dem rheinischen Katholizismus sei’s gedankt – am Aschermittwoch losgesprochen von den karnevalesken Sünden zu Köln. Nun sehen wir den großen Ereignissen entgegen, die sich in den kleinen hiesigen Gefilden anbahnen. Etwa dem ersten mehrtägigen Literaturfestival in Koblenz. Oder der Fertigstellung des ersten Bauabschnitts für den Limes-Kopf-Erlebnispark. Und vor allem: Dem Schaulaufen der letzten drei Kandidaten für die Chefposition am Theater Koblenz vor Kulturausschuss und Rat der Stadt. Am 6. März fällt die Entscheidung; es ist eine der auf Jahre wichtigsten für die heimische Hochkultur. Der Politik sei ein glückliches Händchen gewünscht – auf dass fürderhin das Theater die sonst durchaus geschätzte Beschaulichkeit des Mittelrheins mit der Widerständigkeit künstlerischen Weltgeistes bereichere.