Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Neue Generation übernimmt Kulturfabrik Koblenz

Ansprache beim Festabend am 5. März 2018 anlässlich des kollektiven Wechsels der Gesellschafter im Trägerkreis der Kufa

Info-Hintergrund:

ape. 1996 hatte eine 20-köpfige Gruppe von Koblenzer Bürgern um den Gymnasiallehrer Dieter Servatius die Koblenzer Kulturfabrik von deren Gründern aus den 1980ern übernommen. So wurde die damals gefährdete Fortexistenz dieses Kulturzentrums gesichert und zugleich dem 1991 ebenfalls von Servatius ins Leben gerufenen Koblenzer Jugendtheater die Spielstätte erhalten. Jetzt, 22 Jahre später, haben die Kufa-GmbH-Gesellschafter des Servatius-Kreises in einem konzertierten Akt die Verantwortung in die Hände einer jüngeren Generation gelegt. Der Altersdurchschnitt der Gesellschaftergruppe sank damit von 70 auf 45 Jahre, der Frauenanteil stieg von zwei auf sieben.

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Unkorrigiertes Redemanuskript

Meine sehr geehrten Damen und Herrn, liebe Kufa-Freunde im Besonderen und hoffentlich auch Kulturfreunde im Allgemeinen,

bekanntlich bin ich ja von Hause aus ein Schreiber. Denn der liebe Gott hat mir statt der Gabe der freien Rede nur ein denkbar schlechtes Gedächtnis in die Wiege gelegt. Ihr müsst es mir nun also nachsehen, dass ich aufgeschrieben habe und ablese, was ich zum gewichtigen Ereignis hier und heute beitragen möchte.

Es gibt da ein Phänomen, das mich zugegebenermaßen etwas irritiert. Seit ich selbst zur älteren Generation zähle, laden mich immer häufiger ebenfalls ältere – oder noch ältere – Zeitgenossen aus honorablen Bürgerkreisen ein: Festreden, Jubiläumsreden, Preisverleihungsreden und Laudationes zu halten.

Da fragt sich der Kultur- und Gesellschaftskritiker natürlich: Bin ich mit 62 Jahren so harmlos, so altersmilde geworden, dass selbst im bürgerlichen Establishment keiner mehr meine Feder und mein Wort fürchtet? Hat mir vermeintliche Altersweisheit jenen Biss ausgetrieben, dessentwegen man mich früher bei keinem Festkommerz dabeihaben wollte, dessentwegen man mich tunlichst von jedem Rednerpult ferngehalten hatte?

Vielleicht ist das mit mir so ähnlich wie mit dem Koblenzer Jugendtheater. Das trifft ja auch allenthalben nur mehr auf Zustimmung, Lob und Beifall. Ich bin diesem Phänomen – in beiden Fällen – noch nicht recht auf die Schliche gekommen. Aber ich muss sagen: Ein Kulturkritiker, der keinen Anstoß mehr erregt, der nicht wenigstens gelegentlich ein bisschen anstößig ist und etwas kontroversen Disput provoziert: So ein Kulturkritiker ist mir irgendwie nicht ganz geheuer.

Und ein Theater von und mit Jugendlichen, das selbst die Elterngeneration, ja sogar die Großelterngeneration allemal entzückt, indes niemals auch nur ein bisschen befremdet, so ein Jugendtheater kann einen schon ins Grübeln bringen.

Aber sei‘s fürs Erste drum; ich komme nachher nochmal darauf zurück. Der Vorteil für mich als Seniorredner jedenfalls ist: Niemand will und kann mir vorschreiben, was ich sagen soll oder darf. Ich genieße die Freiheit des Shakespear‘schen Narren; was ich damit anfange, liegt allein an mir. Und: Auch für den heutigen Abend hat mir keiner Vorschriften gemacht, wie lange ich reden soll oder darf. Ich habe auch keinen gefragt. Das ist nun Ihr Risiko. Also lehnen Sie sich zurück, setzen Sie sich gemütlich – man weiß ja nicht, was in welcher Menge noch kommt.

Generationenwechsel sind eine feine Sache. Weil: Es stecken immer Spannungsmomente drin und sie sind meist irgendwie kniffelig. Da sitzen die Vorgänger ihren Nachfolgern gegenüber; alle zeigen einander freundliche Gesichter – und jeder denkt sich seinen Teil.

Die Vorgänger sagen: „Ja, es wird Zeit, dass die Jungen übernehmen. Und wir sind völlig sicher, dass unser Werk bei ihnen in guten Händen liegt und sich unter ihrer Ägide gedeihlich fortentwickeln wird.“ So sagen sie, während sie sowohl von Wehmut erfüllt sind, wie auch von Sorge.

Die Wehmut derer, die abtreten, ist das Normalste von der Welt – selbst wenn diese Wehmut gepaart ist mit Erleichterung darüber, nicht mehr die Last der Verantwortung tragen zu müssen. Denn die Alten spüren nun, dass sie tatsächlich alt geworden sind. Dass sie nicht mehr Träger, Lenker und Motor des Geschehens sind. Dass es auch ohne sie gehen wird. Dass jene Sache, die sie mal mit so viel Enthusiasmus ins Werk gesetzt haben, ihnen jetzt entzogen wird. Sie tun es im vorliegenden Fall zwar freiwillig und aus guten Gründen, was jedoch am Vorgang und Gefühl des Verlustes wenig ändert.

Dann ist da die Sorge, die vielleicht nur klammheimliche: Werden die Nachfolger es gut machen? Werden sie pfleglich mit dem Erbe umgehen, sodass trotz mancher Veränderung das ursprüngliche Ansinnen der Vorgänger noch erkennbar bleibt? Oder werden sie das Erbe radikal zu etwas völlig anderem umbauen? Es womöglich modernem Zeitgeist zum Fraß vorwerfen? Oder, schlimmer noch, werden sie es gar verprassen, will sagen: an die Wand fahren?

Auf der anderen Seite die Jungen, die Neuen, die Nachfolger. Sie sagen: „Ja, ihr habt eine gute Arbeit gemacht die letzten 22 Jahre. Wir werden euer Erbe in Ehren halten und uns bemühen, es ordentlich fortzuführen.“ So sagen sie – während sie ungeduldig mit den Hufen scharren und denken: „Wie sich die Zeiten ändern, muss sich auch hier allerhand ändern.“ Und sie wollen zeigen, dass sie es können. Wollen ihr eigenes Werk schaffen, ihre eigene Handschrift erkennbar machen. Auch dieses Bestreben ist das Normalste von der Welt.

Doch ja, ich mag Generationenwechsel. Wie ich auch Jubiläen nach 10, 25, 50, 100 oder 200 Jahren mag. Denn sie kommen meiner Neigung entgegen, jede Zeiterscheinung stets als Glied einer Kette historischer Entwicklungen zu betrachten und begreifen zu wollen. In eurem Falle, also im Falle der Kufa, führt die Betrachtung der historischen Kette ziemlich schnell zu einer Erkenntnis, die ich versucht habe, in meinem Rhein-Zeitungs-Artikel vom vergangenen Donnerstag fassbar zu machen.

Diese Erkenntnis sei hier mit anderen Worten nochmals unterstrichen: Es handelt sich bei der Koblenzer Kulturfabrik nicht einfach um eine Location, nicht nur um eine profane Räumlichkeit mit Theatersaal, bewirtetem Foyer, Proben- und Büroräumen etc. Im Sosein dieses Gemäuers stecken von Geburt an ein eigener Geist, eine eigene Haltung, eine eigene Art von Kultur. Die Kufa hat gewissermaßen einen eigenen genetischen Code, der sie von anderen Kultureinrichtungen in Stadt und Umgebung unterscheidet.

Diese Eigentümlichkeit des Ortes ist über das permanente Ringen um Finanzmittel, um Umbauten, um Funktionstüchtigkeit, um Publikum immer wieder mal ins Hintertreffen geraten. Oder man hat sie einfach vergessen angesichts der vielfältig unterschiedlichen Entwicklungen, die über die Jahre im Haus stattgefunden haben beziehungsweise von hier ihren Ausgang nahmen. Weil dem so ist, sitzt hier und heute unsichtbar noch eine dritte Generation mit im Saal: die der Kufa-Gründer aus den 1980ern. Ob euch das passt oder nicht, ob denen das passt oder nicht, spielt gar keine Rolle. Es ist de facto so.

Es hat vereinzelt Einwände gegen meinem RZ-Artikel vom Donnerstag gegeben. Nicht aus diesem Kreis hier (zumindest bisher noch nicht), sondern von anderer betroffener Seite. Kritisiert wurde zum einen: Meine Darstellung des Übergangs von der Erst-GmbH an euch sei falsch. In Wahrheit habe es sich um eine durch die städtische Kulturpolitik provozierte, quasi feindliche Übernahme gehandelt.

Kritisiert wurde ferner diese Passage: „Damit gehört das Jugendtheater zu einem der vielen bereichernden Momente der Kultur, die von der Kufa ihren Ausgang nahmen.“ Daran schließt im Artikel eine Aufzählung an, die als Beispiele Jugendkunstwerkstatt, Festivalstern Jugendtheater des Kultursommers, Kulturbüro Rheinland-Pfalz und weiteres umfasst. Unter deren Protagonisten gibt es den einen oder anderen, der überhaupt nicht einverstanden ist mit der Formulierung „von der Kufa ihren Ausgang nahmen“.

Keine Bange, ich will das jetzt gar nicht mit historisch-kriminalistischer Akribie aufdröseln. Es wäre sowieso vergebliche Müh‘. Denn mit welchem Altprotagonisten auch immer man sich unterhält: Die Erinnerungen an das damalige Procedere unterscheiden sich teils gravierend, die subjektiven Wahrnehmungen und Einschätzungen der damaligen Vorgänge liegen himmelweit auseinander. Und eigentlich spielt das auch keine allzu große Rolle bei der kulturgeschichtlichen Gesamtbewertung dessen, was die Kufa war und geworden ist. Womit wir wieder beim genetischen Code dieser Institution wären. Den möchte ich mal folgendermaßen umreißen:

Die soziokulturell-alternative Bewegung hat von den 1970ern bis in die 1990er gesellschaftliche Freiräume, Zentren, Institutionen erstritten und geschaffen, die sich nach Inhalt, Form, Gebaren und Zielen beträchtlich von alten Hauptlinien staatlicher oder privater Kulturpflege unterschieden. In Süddeutschland und in Teilen Norddeutschlands entstanden im Zuge dieser Bewegung zuerst und vor allem selbstverwaltete oder teilautomone Jugendzentren.

In Rheinland-Pfalz, Hessen und NRW verlief die Entwicklung etwas anders: Obwohl vielfach von Jugendlichen und jungen Erwachsenen initiiert und getragen, entstanden nicht so sehr Jugendzentren, sondern alternative Kulturzentren. Die wollten neue Formen des kreativen Miteinanders erproben und eine andere, eine auch sozial ambitionierte Art von Kultur und Leben ins Werk setzen.

Heutzutage ist es kaum mehr nachvollziehbar: Aber fast alle diese alternativen Ansätze wurden seinerzeit von der Mehrheitsgesellschaft wie auch von sehr vielen Politikern in Ländern und Kommunen misstrauisch beäugt bis scharf ablehnend behandelt. Das war auch bei der Kufa so, fand hier wie vielerorts Niederschlag vor allem in ewigen Streitereien um Finanzunterstützung durch die Öffentliche Hand und/oder staatliche Einflussnahme auf Strukturen und Inhalte der Arbeit in diesen Jugend- und Kulturzentren. Kurzum: Ein nicht unwesentlicher Teil der Biografie besagter Bewegung besteht aus Streitbarkeit, Widerständigkeit und Durchsetzungwillen gegen das seinerzeitig traditionelle, etablierte Verständnis von Kultur.

Aus dieser Bewegung sind in Koblenz Tanztheater Regenbogen, Kufa, Kulturinfo, Kulturbüro, Jugendkunstwerkstatt etc. hervorgegangen. Das alles und noch viel mehr waren schon immer unterschiedliche Ansätze und Strömungen. Teils haben sie sich – bis hin zum personellen Austausch – wechselseitig inspiriert, teils unabhängig voneinander entwickelt. Mal haben sie sich miteinander, mal nebeneinander, bisweilen auch gegeneinander betätigt. Aber hier in Koblenz sind sie fast alle im selben soziokulturellen Biotop zur Welt gekommen und herangewachsen: in der Kulturfabrik.

Manche heute in der hiesigen Kulturlandschaft fest verankerte und inzwischen allgemein hochgeschätzte Einrichtung würde vielleicht gar nicht existieren, hätte es nicht die Kufa als räumliches, ermutigendes, inspirierendes Biotop am Ort gegeben. Und auch der Gedanke ist keineswegs so furchtbar weit hergeholt, dass wir ohne Kufa vom Koblenzer Jugendtheater womöglich/wahrscheinlich schon lange nicht mehr reden würden.

Deshalb bin ich ziemlich glücklich darüber, dass mir am Ende meines RZ-Artikels jene, wie ich finde treffende Formulierung eingefallen ist: „Ohne den Mut und Pioniergeist der Kufa-Gründer hätte es dieses Kulturzentrum nie gegeben; ohne das Engagement des nachherigen Gesellschafterkreises um Dieter Servatius würde es die Kufa längst nicht mehr geben.“

Aus dem ursprünglichen Herkommen mit all seinen Kämpfen, Krämpfen, Mühen, Momenten des Gelingens wie auch des verzweifelten Scheiterns, aus jenem Versuch einer gelebten Utopie als Alternative zum etablierten Kulturbetrieb definiert sich der spezielle genetische Code der Kufa. Auch ich aber hatte lange eine Sache nicht verstanden: Der Übergang der Kufa aus sogenannten alternativen Händen in sogenannte bürgerliche Hände hat zwar teils zu deutlichen Schwerpunktverschiebungen bei Selbstverständnis, Formen und Tun geführt – aber genau besehen, konnte das bis dato dem genetischen Code des Ortes doch weniger anhaben als erwartet oder befürchtet.

Das hat durchaus ein bisschen mit euch zu tun. Mit Bürgern, deren Bürgerlichkeit sich eine geistige und kulturelle Offenheit erhalten hat – sei es von liberalem Hause aus oder weil mancher in seiner Jugend selbst eine alternative, antibürgerliche Phase durchlaufen hat. Nehmen wir einfach den Ältesten hier, Servatius, als Beispiel: Was der Herr Deutschlehrer damals mit dem Literaturkreis, dann der Theatergruppe an seiner Schule auf die Beine stellte, galt in den 70er/80ern nicht eben als normal. Und als der dickköpfige Querkopf dann 1991 das Jugendtheater aus der Taufe hob, war auch das alles andere als ein Zeichen durchschnittlicher Bürgerlichkeit.

Mehr noch aber hat der relative Erhalt des genetischen Codes der Kufa mit den jungen Leuten zu tun, die hier ein und aus gehen, die hier gemeinsam mit Profikünstlern kreativ geschäftig sind. Ich muss diesen Aspekt jetzt nicht weiter ausführen, davon war ja umfassend neulich in meiner Rede zum Jugendtheater-Jubiläum gesprochen worden.

Lieber nehmen wir noch einen dritten Grund für den relativen Erhalt des genetischen Codes her: das Kufa-Verständnis der allgemeinen Öffentlichkeit. Wenn ich so von berufswegen durch die diversen Szenen der Kulturlandschaft am Ort sowie in der näheren und weiteren Umgebung ziehe und mit den unterschiedlichsten Leuten spreche, bin ich stets aufs Neue über eines erstaunt: Wie sehr die Koblenzer Kufa dort draußen noch immer als alternative Kulturstätte gesehen wird – als das Andere, das sich von Stadttheater, Philharmonie, örtlichen Museen, Festungsevents und Rhein- oder Moselfestivals unterscheidet.

Dieses nach wie vor weit verbreitete Verständnis – draußen womöglich mehr als hier drinnen – ist ein wunderbares Pfund für die neue Gesellschaftergeneration. Denn es gibt euch richtig viel Freiheit. Die Freiheit manch Neues auszuprobieren. Schließlich nimmt man einer alternativen Kulturstätte nicht krumm, wenn sie aus dem Rahmen des Gewohnten fällt. Im Gegenteil: Man erwartet von ihr geradezu Experimentierfreude und Ungewöhnliches.

Das würde dann auch jene kulturaffinen Zeitgenossen Staunen machen, die seit längerem schon die Kufa abtun als bloß noch Unterhaltungs- und Amüsiertempel, dem künstlerische Innovationskraft weitgehend abhanden gekommen sei. Ja, auch solche Ansichten gibt es draußen; nichtmal zu knapp. Sie sind, und das ist schon fast tragisch, vor allem in Kreisen verbreitet, die im Grunde der Kufa als ideellem Ort alternativer Kultur besonders nahe stehen sollten. Da läuft etwas schief.

Weshalb ich den neuen Gesellschaftern gleich die Frage mit auf den Weg geben möchte: Könnte es vielleicht sein, dass diese Kritik am jetzigen Status Quo der Kufa zwar zugespitzt oder überspitzt ist, dass der Kritik aber, sagen wir mal: zugleich ein interessanter Impuls für die anstehenden Zukunftsüberlegungen innewohnt?

Geschätzte Alt- und Neugesellschafterinnen und -gesellschafter,

es tut mir leid, sollte meine doch eher unfestliche Ansprache den einen oder anderen hier im Saal enttäuschen. Aber beschweren Sie sich deshalb bitte nicht bei mir, sondern bei Dieter Servatius. Der ist schuld. Denn als er mich als Redner für den heutigen Anlass engagierte, wusste er ganz genau, was er von mir NICHT bekommt: Eine staatstragende Festansprache, einen „Hosianna!“ jubilierenden Lobeshymnus.

Servatius ist derjenige unter ihnen, den ich am längsten kenne. Länger noch als Dirk Zimmer, obwohl ich den schon als Bübchen auf der Jugendtheaterbühne herumspringen sah – und mit ihm alt geworden bin. Servatius kenne ich sogar ein paar Wochen länger als mein liebes Buchhändler-Ehepaar, die Duchsteins.

Gleich nach meiner allerersten Theaterkritik in der Rhein-Zeitung so um 1990 herum, hatte Servatius mich, den Jungkritiker, in seinen Literaturkreis am Max-von-Laue-Gymnasium eingeladen – und vor versammelter Schülergruppe Manfred Molitorisz auf ihn losgelassen, den erfahrenen Regisseur des kritisierten Stücks. Das waren interessante, lehrreiche, für mich aber auch schweißtreibende zwei Stunden. Und das Honorar damals war: eine Tafel Schokolade.

Seither verfolge ich, was Servatius so treibt – mal mit allen geschärften Sinnen des Dienst tuenden Kulturkritikers, mal mit dem halben Auge des ewigen Chronisten und alternden Zeitzeugen. Über die Jahre, inzwischen kann ja schon sagen: über die Jahrzehnte hatten wir immer wieder mal ausführliche Gespräche miteinander. Da waren wir oft ähnlicher Meinung, aber kaum je ganz der selben.

Ein Thema, bei dem wir uns regelmäßig in die Haare kriegten, war die von mir so genannte „Musicallastigkeit“ des Jugendtheaters. Ich hatte und habe nichts grundsätzlich gegen Musicals, sie interessieren mich nur nicht sonderlich. Die von Herrn Webber halte ich allerdings musikalisch allesamt für grottenschlechte Banalitäten, abgesehen von seinem frühesten: Jesus Christ Superstar. Aber das nur am Rande.

Was mir gegen den Strich ging und ich auch im Hinblick auf den Anspruch „JUGENDtheater“ für falsch hielt, war: Dass die in den Anfangsjahren neben den Musicalproduktionen noch regelmäßig verfolgten Projektarbeiten mit eigenen Stücken und im Schauspielfach immer mehr von der Bildfläche verschwanden.

Natürlich, Musicals erlebten gerade in den 1990ern einen Boom, waren ein von Hamburg ausgehender neuer Modetrend im Entertainment-Getriebe. In Niedernhausen bei Wiesbaden baute man sogar ein eigenes riesiges Theater nur für Musicals. Kein Wunder, dass hier ihn Koblenz Kinder und Jugendliche bei den Musical-Castings dem Jugendtheater die Bude einrannten und wohl noch immer einrennen. Kein Wunder auch, dass sich die Musical-Vorstellungen dann zwei, drei Dutzend mal problemlos ausverkaufen ließen – sie trafen eben voll und treffen teils noch immer den Mainstreamgeschmack des aktuellen Zeitgeistes.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Für die jeweils mitmachenden Akteure ist auch die Musical-Arbeit eine sehr, sehr wertvolle Jugendarbeit. Daran habe ich bereits in der Rede zum Jugendtheater-Jubiläum keinen Zweifel gelassen. Und dass ihr, die Altgesellschafter, diese Arbeit ermöglicht habt, war, ist, bleibt aller Ehren wert. Gleichwohl hat die Jugendtheater-Sache im Laufe der Jahre überdeutliche Schlagseite in Richtung Musical bekommen.

Irgendwann begann ich zu befürchten, dass die öffentliche Wahrnehmung dessen, was hier geschieht, folgende Richtung einschlagen könnte: Die Kufa ist das Jugendtheater, und das Jugendtheater ist das Koblenzer Musicaltheater. Der zweite Schritt ist schon beinahe eingetreten: Das Jugendtheater wird in der Öffentlichkeit inzwischen primär als quasi semiprofessionelles Musical-Theater wahrgenommen.

Interessanterweise ist es beim ersten Schritt noch nicht so weit gekommen. Noch wird die Kufa nicht gleichgesetzt mit dem Jugendtheater – sondern verstanden als DER ORT, in dem unter anderem das Jugendtheater entstand, daheim ist, bis heute probt und spielt. Zur Vermeidung einer monothematischen Funktionszuweisung hat auch Dirk Zimmers Schängel-Theater beigetragen, dieser zweite, seit Jahren regelmäßig massentaugliche Anziehungspunkt im Kufa-Programm. Ebenso wie im Falle Jugendtheater wird in diesem Fall die Kufa als der Ort wahrgenommen, an dem das Schängel-Theater geboren wurde, erwachsen geworden ist und bis heute ledbt.

Wie beständig der genetische Code der Kufa als multikultureller Kreativraum der etwas anderen Art ist, lässt sich schön daran erkennen: Diese beiden dauerhaft publikumsstärksten Theaterformen haben selbst zusammengenommen bislang nicht zu einem Paradigmenwechsel in der allgemeinen Wahrnehmung der Kufa geführt. DIESES HAUS wird eben noch nicht als, sagen wir: populäres Volkstheater-Haus angesehen – selbst wenn manch einer in der hiesigen Kulturszene davon überzeugt ist, dass die heutige Kufa mit den Wurzelgedanken ihrer Gründerzeit gar nichts mehr gemein hätte. Ich sehe das nicht so – extrem.

Ich sehe vielmehr, dass der genetische Code dieser Örtlichkeit nach wie vor existiert und wirkt, dass die Kufa nach wie vor auch ein ideeller Ort ist. Ein Ort, erstritten, entwickelt und gemacht für dies: Inspirierenden Freiheitsraum zu bieten für die kreative Erprobung mannigfaltiger Ideale, Träume, Vorstellungen, Wege – nicht zuletzt im Kleinen, Innovativen, Gewagten, Schwierigen jenseits der schönen Highlights; und sei es auch mal mit weniger Mitmachern und weniger Publikum.

Dieses Projekt-Segment wieder zu etablieren, braucht es vielleicht einen etwas längeren Atem und etwas Risikobereitschaft. Aber was wären große Schauspielhäuser ohne ihre kleinen Kammerspiel- und Expermintalproduktionen? Auch dafür gibt es etliche Mitmacher und einiges Publikum. Und womöglich ist es so, dass gerade da verhandelt wird, wessen wir und unsere jungen Leute heutzutage am dringendsten bedürfen.

Sorry, ich wollte euch nicht belehren, was ihr zu tun habt. Das steht mir nicht zu. Ich wollte nur grob skizzieren, welche Chancen und Möglichkeiten sich jetzt euch, den Junggesellschaftern, bieten. Denn noch sind die Horizonte offen. Ihr habt die Freiheit und es in der Hand, Weichen zu stellen. Dafür wünsche ich euch und diesem Haus, damit zugleich der Kultur in Koblenz „Glück auf!“ Und den Altgesellschaftern sage ich einfach: Danke, dass es die Kufa noch gibt.

Das war‘s von mir. Jetzt brauche ich ein Bier.

Andreas Pecht

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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