ape. Um es klar zu sagen: Der türkische Angriff auf Nordsyrien ist eine widerrechtliche Invasion fremden Staatsgebietes. Doch gewichtiger ist: Erdogans Militär marschiert in Syrien ein, um das Selbstverwaltungsgebiet der Kurden zusammenzuschießen. Und um auch das klar zu sagen: Dass die internationale Politik außer ein paar empörten Sätzen Richtung Ankara nichts zustande bringt, das den Kurden helfen könnte, ist kaum minder beschämend als Trumps Abzug der 100 US-Soldaten, der Erdogan de facto freie Hand gab.
Die Kurden empfinden das, zu Recht, als Verrat. Sie haben im Interesse der Staatengemeinschaft die Hauptlast im Bodenkrieg gegen die IS-Terroristen getragen. Sie waren es, die einen Genozid an den Jesiten verhinderten. Sie haben abertausende IS-Kämpfer gefangen gesetzt – und sind von der Staatengemeinschaft, auch Deutschland, mit dem Gefangenenproblem allein gelassen worden.
Das Problem wird sich nun auf unschöne Art lösen: Die Kurdenmilizen stehen im Abwehrkampf gegen die Invasoren; die IS-Terroristen nutzen die Situation, um zu entfliehen und sich womöglich neu zu formieren. Erdogan ist das egal, ihm hat seit jeher der Kampf gegen den IS weniger bedeutet als die Vernichtung der kurdischen Selbstverwaltung. Ihm ist gleichgültig, dass mit der Einäscherung der von den Kurden aufgebauten Gesellschaftsstrukturen die stabilsten Regionen Syriens und des Irak im Chaos versinken werden.
Und offenbar kümmert es Erdogan wenig, dass sich die Türkei mit dieser Invasion eine neue Phase blutiger Auseinandersetzungen auch im Inland einhandelt. Den kurdischen Organisationen wird es jetzt kaum mehr gelingen, viele wütende junge Leute der knapp 20 Millionen in der Türkei lebenden Kurden vom Untergrundkampf abzuhalten. Wie schon ihre Vorfahren sehnt sich dieses Volk nach einem eigenen Staat, nach einem freien Kurdistan, ihrer durch Großmachtpolitik auf mehr als vier Länder zersplitterten Heimat. Und wenn der Westen sie – einmal mehr – hängen lässt, werden sie sich nach anderen Verbündeten umsehen (müssen). Andreas Pecht
(Erstveröffentlichung am 12.10.2019 in der Printausgabe der Rhein-Zeitung)