Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Vier Anmerkungen zu den Demonstrationen gegen Rechtsradikalismus

1.
Es hat sich jüngst in etlichen Politikredaktionen selbst seriöser Medien eine Lesart breitgemacht, wonach die Herbeiführung einer Abstimmungsmehrheit im Bundestag durch Akzeptierung der AfD-Zustimmung seitens der CDU „Hunderttausende auf die Straße getrieben“ habe. Das ist nicht zutreffend und verkennt den Charakter der Demo-Bewegung. Diese war bereits im Gange bevor Merz seine „All-in“-Marschrichtung eingeschlagen hat. Viele und teils sehr große Demos fanden bereits an den Wochenenden vor den Ereignissen im Bundestag statt, die meisten Aktionen des vergangenen Wochenendes und der noch kommenden waren schon zuvor anberaumt. Gewiss, die fatale Abstimmung im Parlament ist als Motivationsfaktor hinzugekommen, ist aber nicht der Auslöser für die Demonstrationen.

2.
Vielfach wird vertreten, mit der Demo-Bewegung brächten nur SPD, Grüne und Linke ihre Anhängerschaft gegen Merz und die CDU auf der Straße in Stellung. Auch das ist unrichtig und verkennt den überparteilichen, zivilgesellschaftlichen Charakter der Bewegung. Natürlich sind Anhänger der genannten Parteien in beträchtlicher Zahl dabei. Wer sich aber die Mühe macht, die zu den Demos aufrufenden Bündnisse und die Teilnehmerschaft selbst an den Aktionen näher zu betrachten, wird feststellen: Das geht weit, sehr weit über das Spektrum besagter Parteien hinaus. Diesen Befund bestätigt im Kleinen auch mein eigener über die halbe Republik verteilter Bekanntenkreis: Viele davon haben an irgendeiner der Demos teilgenommen, darunter sind die mit Abstand meisten eben keine eingefleischten Parteigänger, sondern das, was man jedesmal neu überlegende Wechselwähler nennt.

3.
Schon im vergangenen Winter und jetzt wieder wurde ich mehrfach sinngemäß gefragt: „Warum misst du diesen Straßendemonstrationen einen so hohen Wert bei, wo doch das Herz der Demokratie an der Wahlurne schlägt und letztlich dort auch über die weitere Entwicklung des Landes entschieden wird?“ Diese Frage kommt fast immer von Zeitgenossen, die selbst noch niemals an einer Demonstration teilgenommen haben. Meine Antwort: Die Eltern des Grundgesetzes haben dem Demonstrationsrecht und der Versammlungsfreiheit nicht von ungefähr einen sehr hohen Stellenwert von unveräußerlichem Grundrechtsrang zugemessen. Denn es ist eine der (wenigen) Möglichkeiten der Bürger, der Bevölkerung (auch von Minderheiten), jenseits des Wahlgangs und der Mitwirkung in Parteien selbstaktiv (!) an demokratischen Prozessen und der allgemeinen Meinungsbildung teilzuhaben. Und wenn sich nun nicht nur ein paar Tausend an einem Ort versammeln, um auf irgendeinen Missstand hinzuweisen, sondern wie im vorliegenden Fall Zehntausende, Hunderttausende vom gemütlichen Sofa daheim aufstehen, um selbst bei Regen und Kälte die Demokratie und eine freiheitliche, tolerante, humane Lebensart demonstrativ zu verteidigen, dann ist solches Engagement – selbst wenn man manche Parole nicht teilen mag – ein hoher Wert, ein Pfund für unser Land. Es ist eine Form tatsächlich gelebter Demokratie, die zugleich der Stärkung und der Wehrhaftigkeit der Demokratie zugute kommt.

4.
Es gibt ein paar komplett unsinnige Anwürfe gegen diese Demo-Bewegung. Sie seien nur kurz erwähnt, ihr agitatorischer Zweck und ihre Blödsinnigkeit bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Da heißt es etwa: Es handle sich um staatlich organisierte Aufmärsche, gar um Zusammenkünfte bezahlter Claqueure. Oder, gerne von AfD-Rednern nach er Art benutzt, wie Trump und Musk den demokratischen Teil der USA denunzieren: Das seien alles Zusammenrottungen Linksradikaler.

Andreas Pecht

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