ape. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“ heißt es im Volksmund. Und das ist richtig. Es ist aber auch richtig, dass die Evolution uns die Fähigkeit zur Angst als Vorsichts- und Präventionsmechanismus für potenzielle Gefahrenlagen mitgegeben hat. Stellt die jetzige Corona-Epidemie eine solch potenzielle Gefahrenlage dar? Im Grundsatz: Ja – weil JEDE Epidemie/Seuche mit im Alltagsleben vorhandenen profanen Ansteckungswegen sowie der Möglichkeit schwerer bis tödlicher Krankheitsverläufe eine potenzielle Gefahrenlage ist. Dies gilt insbesondere für Krankheiten, die noch nie da waren, über die man wenig weiß, gegen die in der Bevölkerung noch keine nennenswerten oder gar keine Immunitätsanteile existieren und gegen die es (bislang) auch keine Medikamente gibt.
Eine potenzielle Gefahrenlage liegt auch dann vor, wenn die Zahl der Infizierten noch sehr klein ist. Weshalb ich weder die derzeitigen Vorsichtsmaßnahmen im staatlichen Großen wie auch die extrem unterschiedlich ausgeprägten Ängste im individuellen Kleinen verurteilen oder lächerlich machen mag. Gemäß wissenschaftlicher Erkenntnisse der letzten Jahre sind Erinnerungsspuren an die großen Pest- und Choleraseuchen in historischer Zeit unserem genetischen und damit kollektiven Angstgedächtnis tief eingegraben. Mithin wissen oder ahnen wir alle (in unterschiedlicher Intensität), dass ein kleiner Krankheitsbefall sich exponentiell (sic) zur gewaltigen Seuche ausweiten kann. Dass ein Gemeinwesen und die ihm zugehörigen Individuen sich möglichst frühzeitig klug davor wappnen, ist vernünftig. Dass es dabei auch zu hysterischen Übersprungshandlungen kommt, ist unvernünftig, aber psychologisch doch nachvollziebar. Rationalität und Angst
gehen nunmal öfter verschiedene Wege. Das ist menschlich.
Zudem erbringt einfaches Rechnen unschöne Ergebnisse. Wenn zutrifft, was WHO und führende Virologen hierzulande prognostizieren, könnten 50 bis 70% der deutschen Bevölkerung mehr oder minder schnell mit diesem Corona-Virus infiziert werden. Das wären rund 40 bis 56 Millionen Bürger. Für 20% davon wird mit einem schwereren Krankheitsverlauf gerechnet, für 1 % mit einem sehr schweren bis lebensbedrohlichen und für etwa 0,3% mit einem tödlich endenden. Nehmen wir auf dieser Datenbasis einen Durchschnitt von 50 Millionen Infizierten an, müssten 500 000 davon (= 1%) im Krankenhaus behandelt werden und wären schlussendlich im Land 150 000 Corona-Todesfälle zu beklagen.
Das ist nicht Nichts. Und es würde umso mehr, je schneller sich das Virus ausbreitet und je umfänglicher die Seuche unser Gesundheitssystem überfordert. Auch wenn am Ende 99% oder 97 % der Bevölkerung nahezu oder gänzlich ungeschoren durch diese Epidemie kommen, so ist das kein Grund, dass nicht alle größtmögliche Vorsicht walten lassen. Denn wird das versäumt, dürfte sich vor allem unter unseren Älteren und Ältesten eine beträchtliche Rate verfrühten Ablebens aufhäufen. Ein paar „Witzbolde“ sprechen schon von der „großen Entlastungswelle für die Rentenkasse“. Diesen Zynikern möchte man gehörig in den Hintern treten. Dennoch steckt im Unsäglichen eine Wahrheit: Der Kampf gegen die Corona-Epidemie ist nicht zuletzt ein Solidarakt der gesamten Gesellschaft mit ihren besonders gefährdeten Mitmenschen im Rentenalter.
Was in solch potenzieller Gefahrenlage vor allem gebraucht wird, ist: Besonnenheit, Vernunft, Klugheit, Entschlossenheit und Gemeinsinn. Die Gefahr einfach zu ignorieren, wegzuwitzeln, kleinzureden, hat damit so wenig zu tun wie Hysterie und Panik.
Andreas Pecht