ape. Mainz. Viel geschmunzelt und bisweilen laut gelacht bei der jüngsten Premiere am Staatstheater Mainz. Doch, anders als bei der Lektüre des Textes von „Die Nashörner”, kaum Beklommenheit verspürt. Frank Hoffmann hatte beim Einrichten der Koproduktion von Ruhrfestspielen, Theater Mainz und Nationaltheater Luxemburg wohl nicht damit gerechnet, dass die Aufführungen in eine Zeit fallen würden, wo Eugène Ionescos Klassiker des Absurden Theaters der 1950-/60er wieder brandaktuell sein würde.
In der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Dreiakter ein Dauerbrenner gerade auf deutschen Bühnen. Zuletzt wurde er aber nur noch sehr selten gespielt. Erinnerlich für die hiesige Region ist bloß eine Inszenierung in Frankfurt, die fast zwei Jahrzehnte zurückliegt. Das zur Entstehungszeit des Stückes virulente Thema schien sich erledigt zu haben: Ionesco hatte eine Parabel auf die Entwicklung des Faschismus geschrieben – von einer scheinbar harmlosen Randerscheinung über die subkutane Durchdringung der Normalgesellschaft bis zur Herrschaft von uniformem Massen- und Rassenwahn. Im Stück löst sich die menschliche Gemeinschaft auf, indem ihre Mitglieder peu à peu zu vor Kraft strotzenden Dickhäutern mutieren. „Die Nashörner” darf verstanden werden als satirisch geformte Warnung: Obacht, der Schoß ist noch fruchtbar, aus dem das kroch.
Hoffmanns Inszenierung baut primär auf die satirischen Komponenten. Er macht aus dem Stück eine schiere Humoreske, die wie um der bloßen Vergnüglichkeit Willen eine alte Theaterform zitiert. Das allerdings geschieht mit Raffinement und im Zentrum des achtköpfigen Ensembles gestützt auf zwei überragende Schauspieler: Wolfram Koch als Behringer und Samuel Finzi in der Rolle des Hans. Beide liefern Kabinettstückchen, die den 100-minütigen Abend per se zum Erlebnis werden lassen.
Die erste halbe Stunde sitzen die Mimen verteilt im Parkett und mischen Ionescos Dialoge zum allgemeinen, gemütlichen Sonntagsgeplapper. Hans und Behringer geraten sich dabei in die Wolle über richtige Lebensart: Für fleißiges Arbeiten nebst Mäßigung bei Alkohol und Frauen plädiert Hans; für gefahrlose Feierabendbierchen der verkaterte Behringer – und gafft der vorbeistöckelnden Sekretärin Daisy (Jacqueline Macaulay) aufs Wohlgerundete. Plötzlich: Rumms, Licht aus, Krach, Gekreisch, Chaos. Das erste Nashorn ist aufgetaucht. Von ihm nachher keine Spur; es bleiben nur eine plattgetrampelte Katze, die greinende Katzenbesitzerin und verstörte Leute.
Das Publikum kriegt kein Nashorn zu sehen. Im nun auf die Bühne verlagerten Geschehen tauchen nie entsprechende Pappmaschee-Köpfe oder maskenhafte Anspielungen auf. Gezeigt wird Hans‘ beginnende, mit bravouröser Komik gespielte Verwandlung: Der Mensch wird hitzig, trampelig, schmeißt beiläufig Möbel um, sein Sprechen wandelt sich zu Geblubber, schließlich entschwindet er am Seile in den Schnürboden. Nach und nach verschwinden auch Behringers Bürokollegen; man ahnt oder schließt aus Andeutungen und Kontext, dass sie nun ebenfalls zum Getier gehören.
Gegen Ende verengt Christoph Rasches Bühnenrahmen aus mit Stroh drapierten Gitterstellagen den Raum zum Käfig. Draußen die Masse der Nashörner: Wir – die wir anfangs als Menschen eine über die Bühne ziehende Brass-Combo swingen hörten, ihrem tonlosen Vorbeimarsch am Schluss nur wie einem Stummfilm zusehen. Nashörner sind unempfänglich für Kultur. Drinnen im Käfig die letzten noch widerstehenden Menschen: Behringer und Daisy.
Bis hierher dominierte Humor die Aufführung, übermütige Dada-Performance inklusive. Da es bald auch die Frau zur Gemeinschaft der Nashörner zieht, kippt die Atmosphäre ins Tragische. Denn der einsame Behringer würde jetzt ebenfalls gerne in der Masse aufgehen – aber er wird seinen Individualismus nicht los. So schwenkt die Inszenierung im Finale doch noch ernsthaft auf jene Beklommenheit ein, die einen dieser Tage real erfasst, angesichts von Hassreden, sich ausbreitenden Ressentiments gegen Migranten und brennenden Flüchtlingsheimen.
Andreas Pecht