Viele wissen es. Andere ahnen es, weil meine Präsenz in Zeitungen und an Vortragspulten mittlerweile gegen Null tendiert: Der Autor ist in den Ruhestand getreten. Das schon vor einigen Monaten. Während des ersten Lockdowns reifte der Entschluss, diesen Schritt um ein Jahr vorzuziehen – und mich bereits 2020 ebenso unauffällig aus dem journalistischen Getriebe zu verdrücken, wie ich es 34 Jahre zuvor durch eine Seitentür betreten hatte. Eine Mini-Kür nur wollte ich auf die alten Tage weiter pflegen: Gelegentlich noch eine Theater- oder Konzertkritik schreiben sowie mir das Vergnügen der „Quergedanken“-Kolumne gönnen. Alles nach Lust und Laune; den lieben Gott einen guten und mich einen von Pflichten freien Mann sein lassen. Theater/Konzert gibt’s momentan nicht, bleibt also: das hier.
Und was mache ich nun mit all der gewonnenen Verfügungszeit? „Er dreht am Rad“, meint Freund Walter schnippisch, „hat sich allerhand seltsamen Zeitvertreib zugelegt.“ Dieses grässliche Wort, Zeitvertreib, geht mir auf den Keks. Mit 65 Jahren will man keine Zeit vertreiben, man hat eh nur noch einen Rest davon übrig. Es geht darum, die verbleibende Lebensspanne mit interessanten, schönen, spannenden, genussreichen Elementen zu füllen – jetzt, da das Muss des Broterwerbs die Peitsche nicht mehr schwingt. Was also mache ich? Lauter Sachen, nach denen mir schon sehr lange der Sinn steht, die aber im Berufstrubel stets den Kürzeren zogen.
Nein, es drängt mich keineswegs zur Bereisung ferner Länder. Auf große Welttour würde ich auch ohne Pandemie nicht gehen wollen, weder per Flugzeug oder Luxusliner, noch in Abenteurermanier auf Zweirad, Pferd oder zu Fuß. Auch von früh bis spät nur auf der faulen Haut liegen ist zwar eine gelegentliche, doch keine dauerhafte Option. Walter zappelt herum und kann dann wieder das Wasser nicht halten: „Der Herr Kolumnist gerieren sich nunmehr als Kunstmaler, Pianist und Selbstversorgungsgärtner.“ Richtig am lästerlichen, indes vor allem wohl neidischen Geplapper des Freundes ist immerhin dies: Das Edikt von Joseph Beuys, wonach „jeder Mensch ein Künstler ist“ (sofern er sich aufrafft), steht als Leitmotiv über meinem neuen Lebensabschnitt.
Will sagen: Zwar kann nicht jeder malend mit Da Vinci oder Van Gogh gleichziehen, schreibend mit Heinrich Heine oder Thomas Mann, musizierend mit Anne-Sophie Mutter oder Alfred Brendel, bauend/gartenbauend mit Schinkel oder Lenné … In höherem Anfängeralter nach derartiger Meisterschaft streben zu wollen, wäre vermessen und vergebliche Liebesmüh. Doch steckt in JEDEM Menschen kreatives Potenzial, die Fähigkeit also, irgendwas irgendwie nach eigenem Gusto zu gestalten. Hat man die Lust an solchem Tun erstmal geweckt, gibt es für viele Neuaktive kein Halten mehr. Weshalb wir über die pandemischen Monate hunderttausendfach neue Einstiege in gestalterische Hobbys und Passionen erleben dürfen.
Tja, und mich zieht es nach gut drei Jahrzehnten Schreiberei nun halt zum Selbermachen just in die wortlosen Künste – hin zum inzwischen ein halbes Leben lang brach gelegenen Klavierspiel sowie hinein in die mir zwar theoretisch vertraute, aber eigenpraktisch völlig fremde Welt des Zeichnens und Malens. Das ist eine wahrlich aufregende Abenteuerreise, wo nicht das Ziel, sondern aus Spaß an der Freud der Weg des experimentierlustigen Dilettanten als höchster Wert an sich zählt. Gelle, Walter, da würdest du gerne mitgehen? Dann mach’ halt!