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2016-05-11 Schauspielkritik:

„Macbeth” im Staatstheater Mainz als finale Phase des Menschenzeitalters


Inszenierung von Jan-Christoph Gockel macht Shakespeare-Klassiker zu endzeitlicher Öko-Parabel
 
 
ape. Mainz. Der Irritationen sind viele an diesem dreistündigen Abend mit „Macbeth” am Staatstheater Mainz. Man schildere einem Shakespeare-Verehrer, der Jan-Christoph Gockels Inszenierung nicht kennt, nur deren Ausgang. Gleich kommt der entgeisterte Ausruf: „Aber da verliert die Tragödie doch ihren Sinn!” Denn diesmal sind am Ende nicht nur der thronräuberische Macbeth (Johannes Schmidt) und seine ihn zur Meuchelmörderei anstachelnde Lady (Anna Steffens) tot. Es werden vielmehr die menschlichen Protagonisten allesamt hinweggerafft, inklusive des Rächers Macduff (Henner Momann) und des legitimen Kronerben Malcolm (Daniel Friedl). Der Regisseur hat so das von Shakespeare gemeinte große Rad ewiger Abfolge blutsudeliger Thronbesteigungen durch Unwürdige einfach angehalten.




Die Bühne von Julia Kurzweg gibt Hinweis, dass wir uns auf ungewohntem Terrain bewegen. An der Rampe hüben ein vor sich hin schmelzender Eisblock, drüben ein einzelnes kümmerliches Bäumchen. Hinter dieser kränkelnden Restnatur die Zivilisation: eine schwarz geteerte, bühnenfüllende Kloakenwanne, an deren Ende sich Müllsäcke himmelhoch auftürmen. Blut, das im Stück seit jeher reichlich fließt, an Leibern und Händen klebt, ist hier schwarz und schmierig: Erdöl, das Gold der Neuzeit, Motiv heutiger Machtkämpfe, an denen die Erde als menschlicher Lebensraum schließlich verreckt.

„Die Menschen müssen weg”, extemporieren deshalb in Mainz die drei Hexen. Sie geben dem Abend damit sein neues Leitmotiv, von Gockel als epochale Gegenwartskonsequenz aus Shakespeares großem Rad abgeleitet. Das Königsdrama von 1606 wird 2016 zur endzeitlichen Öko-Parabel umgedeutet. Entscheidende Frage: Trägt Shakespeare das mit? Antwort: Ja. Schon im Original gibt es diverse Anklänge für aus den Fugen geratene Natur infolge schändlicher Taten unter den Menschen. Doch selbst ohne diese zu bemühen, ist im Werk der Grundgedanke angelegt, dass gierige Hybris die Welt zum Albtraum für Menschen macht. Der Schritt von der gesellschaftlichen Hölle zu derjenigen zerstörter Ökosphäre ist klein und er entbehrt nicht der Logik.

Diesem gescheiten und vertretbaren Ansatz kommt bei der theatralen Umsetzung allerdings immer wieder Gockels überschäumender Spieltrieb in die Quere. So klar und stringent er unlängst für das Theater Graz „Merlin oder das wüste Land” in Szene setzte, so unaufgeräumt, überfüllt und  auf schmunzelnden bis tränentreibenden Effekt zielend fällt jetzt sein „Macbeth” aus. Wieder ist Michael Pietsch mit seinen Puppen eingebunden. Mal stellen sie in ausgedehnten Szenen jene herzig-erbarmungswürdigen Kinder dar, die um der Macht Willen verfolgt, hier gar ersäuft werden. Mal sind sie Fuchs, Rabe, Rehkitz, die als tierische Verkörperung der drei Hexen nur ein Ziel verfolgen: Mittels Weissagungen die Gier der Menschen derart zu befeuern, dass diese schlussendlich einander vom Antlitz der Erde tilgen.

Was das Spiel der menschlichen Protagonisten angeht, so treibt diese Inszenierung sie durch eine Fülle von Darstellungsstilen. Das reicht von filmischen Jagdszenen bis zu Zombie-Getue, von Technoorgie über Buffo-Manier bis hin zu neuzeitlicher wie auch klassischer Tragödenart. Sobald sich das Geschehen etwas beruhigt und die beiden letzteren Spielarten zum Zuge kommen, schwingt sich der Abend zu bemerkenswerten Höhen auf. Wo er leider nicht lange bleibt. Weshalb das zehnköpfige Ensemble zwar reihum etliche solide Leistungen abliefert, aber kaum eine Chance hat, die Einzelfiguren in schlüssige Tiefen zu entwickeln.

Schlussbild: Der Müllsackberg hat sich bis fast an die erste Zuschauerreihe herangeschoben; an seinem Fuße lauter Menschenleichen, obenauf der verwaiste Menschenthron, den nun Fuchs und Rabe besetzen. Die Erdgeschichte geht weiter – allerdings ohne homo sapiens.

Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 11. Mai 2016)

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Zuletzt besprochene Inszenierung von Gockel:

2016-05-07 Schauspielkritik:
Wiesbaden hatte Tankred Dorsts "Merlin..." in der Inszenierung von Jan-Christoph Gockel zu Gast



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