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2010-07-26 Feature:

30 Jahre Bluesfestival Lahnstein


Der alte Freigeist lebt noch und entwickelt sich weiter


ape. Lahnstein. 30 Jahre sind eine lange Zeit. Menschen entwickeln sich in dieser Spanne vom Neugeborenen zum gestandenen Erwachsenen. Festivals altern rascher. Und diejenigen unter ihnen, die im schnelllebigen Event-Geschäft drei Jahrzehnte überstehen, dürfen als ehrwürdige Klassiker gelten. So das Lahnsteiner Bluesfestival, das heuer seinen 30. Jahrgang erlebt und feiert.

Wer etwas über die Geburtsumstände erfahren, dem Spirit der Gründerzeit nachspüren will, der muss nach Zeugen älteren Semesters suchen. Überliefert ist, dass die Fäden für das erste   Bluesfestival 1981 geknüpft wurden von den Radio-Journalisten Tom Schroeder, Manfred Miller, Detlef Gattner und Thomas Dittrich. Dittrich (Jahrgang 1955) war der Jüngste im blues-verliebten Quartett, der 1938 geborene Schroeder der Älteste. Mit dem in Mainz lebenden Senior bin ich auf einer Lahnsteiner Hotelterrasse verabredet. Tom weiß alles über das Festival. Denn er war nicht nur einer der Gründerväter, sondern ist all die Jahre hindurch spiritus rector des Festivals geblieben.

Mit am Tisch sitzt Michael Stoll. Rund eine Generation jünger als Schroeder und im Gegensatz zu dem Mainzer ein Einheimischer, begleitet er das Festival zwar nicht vom Start weg, aber seit vielen Jahren: erst als Berichterstatter für die Rhein-Zeitung, nachher auch als Mittäter und regionaler Talentscout. Stoll steht für jene Gruppe aus der Lahnsteiner Musikszene, ohne die dem Bluesfestival in seinem Krisenjahr 2005 die letzte Stunde geschlagen hätte. Damals verabschiedete sich der SWR plötzlich als Träger und Veranstalter.

Erst die Initiative der örtlichen Musikszene im Verbund mit diversen auswärtigen Bluesfreunden – darunter Musikimpressario Fritz Rau – eröffnete dem Festival eine Überlebensperspektive. Mit Unterstützung des Kultursommers Rheinland-Pfalz, der Stadt Lahnstein sowie weiteren Sponsoren aus der Region bekam das Bluesfestival eine neue Basis. Entgegen manchem Unkenruf darf es heuer neben seinem 30. Geburtstag auch den fünften erfolgreichen Jahrgang in Eigenregie feiern. Inzwischen ist der Deutschlandfunk als Radio-Medienpartner eingestiegen und auch der SWR mit technischer Unterstützung, Vorberichten und der Ausstrahlung von Festivalmitschnitten wieder an Bord.

Nochmal zu den Anfängen und an Tom die Frage: Was prädestinierte 1981 ausgerechnet das Provinzstädtchen Lahnstein als Austragungsort für ein Bluesfestival, das die FAZ bald als das wichtigste in Deutschland einstufte und das heute das dienstälteste in der Republik ist? Manchmal sind die Auslöser für historische Weichenstellungen von erschütternder Banalität. Der damals noch SWF genannte SWR wollte anlässlich des 30. Geburtstages seines Landesstudios Rheinland-Pfalz etwas Spezielles „für junge Hörer“ anbieten. Besagte vier Bluesfreunde machten der Senderleitung dafür irgendwie ein Bluesfestival plausibel. Und wie kam Lahnstein ins Boot? Die Stadt galt beim SWF von anderen Unternehmungen her als problemloser Partner und überhaupt stammte der SWF-Intendant Willibald Hilf von da. So einfach. Deshalb: Lahnstein!

Mehr als 1000 Besucher strömten am 16. Oktober 1981 in die dortige Stadthalle zum Bluesabend mit Eddy Clearwater, der Frankfurt City Blues Band, Joy Fleming u.a.. Was nur als einmalige SWF-Fete gedacht war, wurde zum Auftakt für die 30-jährige Festivalgeschichte – geboren nicht aus dem Geist modernen Trendsettings, sondern aus beharrlicher Unangepasstheit. Der Blues war damals kein Mainstream, ist es bis heute nicht. Dieser Urgrund weiter Bereiche des Rock und Pop genießt bei Musikern zwar höchstes Ansehen, er führt am  Musikmarkt dennoch ein Nischendasein.

Schroeder und Mitstreiter kümmerte das nicht. Sie nutzten in den 70ern/80ern kreativ die Freiräume, die der noch nicht durchformatisierte Rundfunk bot. Sie machten bei Radio Bremen, im Hessischen und Norddeutschen Rundfunk, beim SWF Jazz-, Blues-, Liedermacher-Sendungen, mischten mit bei Festivals wie dem Mainzer Openohr, diversen Waldeck-Aktionen, wiederkehrenden Bluesmeetings a la Gaildorf und Essen. Oder sie hoben eben das Lahnsteiner Bluesfestival aus der Taufe – nicht um der Einschaltquote willen, sondern guter Musik wegen.

Dafür gab es, gibt es noch immer ein Publikum. Zeitweise übertrugen mehr als ein halbes Dutzend Rundfunksender aus Lahnstein. Und nie musste das dortige Festival eine regelrechte Besucherflaute erleben. Ausverkauft war oft, 1000 kamen allemal, der Saal-sprengende Rekord liegt bei 1400, die  heute gar nicht mehr erlaubt wären. Alle paar Jahre meinten Beobachter, das Publikum sei überaltert und  werde „wegsterben“. Tat es aber bis dato nicht. Neue Bluesgenerationen wachsen heran, durchmischen sich im Saal und auf der Bühne – in kaum einem Genre findet man die Generationen so einträchtig versammelt.

Freilich, Teenies sind in der Bluesgemeinde eher selten. Es braucht wohl ein paar lebensintensive Jahre, um Geschmack an der  bluesigen Essenz zu finden, die Manfred Miller 1979 mit folgenden  Versen auf einen Mainzer Fassenachtshit beschrieb: „Du sagst der Blues ist traurig / Ach Alter, was'n Mist / Der Bluesmann ist nicht traurig / Er ist bloß Realist / Er singt nicht Heile Gänsche / Wird alles wieder gut / Er sagt nur, dass nix besser wird / Wenn keiner nix für tut / Er nennt Scheiße scheiße / Und Tristes nennt er trist / Und feiert trotz alledem / Dass er am Leben ist“.

Ist der Blues nicht dennoch ein vertrocknender Ast der Musikgeschichte? Schön und liebenswert zwar, aber ein nicht mehr entwicklungsfähiges Relikt des 19. und 20. Jahrhunderts?  Schroeder und Stoll widersprechen heftig. Es sei ein Wesenszug gerade des Lahnsteiner Festivals, nicht nur unsterbliche Blues-Traditionen zu pflegen, sondern stets auch neueren Entwicklungen im Blues nachspüren. Zeitgenössische Ergebnisse aus wechselweisen Einflüssen zwischen Blues, Jazz, Rock, Latino und anderen Strömungen waren fast in jedem Festivaljahr auszumachen.

Auch das 30. Programm beinhaltet gewichtige Momente innovativer Grenzüberschreitungen und Fusionen. Beim Warm-up im Jugendkulturzentrum (24.9.) tritt u.a. mit dem Trio um den 18-jährigen Gitarristen Krissy Matthews ein Formation an, die Blues sehr gegenwärtig rocken lässt. Im Hauptprogramm tags darauf in der Stadthalle demonstrieren etwa Brixton Boogie, was eine Melange aus Blues, Funk, Hiphop , Elektronik-Grooves und Soul hermachen kann.

Der Blues erfindet sich fortwährend neu, ohne darüber jene gewachsene Substanz aus Seelentiefe und Renitenz aufzugeben, die sein Wesen ausmacht. Ebenso verhält es sich mit dem Lahnsteiner Bluesfestival. Das hat sich in Fortsetzung einer großen Tradition 2005/2006 als Selbstorganisation von unten neu erfunden. Dabei kam es zu einem interessanten Effekt: Nie war das einst durch den SWF von außen in die Stadt gebrachte Festival am Ort selbst so sehr als „unser Bluesfestival“ verankert, wie in den fünf Jahren seit der Existenzkrise. Eine prima Voraussetzung, dass Lahnstein auch in Zukunft sich, der Region und der deutschen Bluesszene Gutes tun kann.                                   Andreas Pecht


(Erstabdruck 30. Woche im Juli 2010)

Ältere Artikel zum Thema:

 2006-09-12 Kultur:
Bluesfreunde haben Lahnsteiner Festival gerettet  - Mit Volldampf in den 26. Jahrgang
 

 2005-11-01:
Rettet das Bluesfestival Lahnstein!
 

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