Volle Deckung: Schimpfkanonade!
Quergedanken Nr. 136
ape. Die geneigte Leserschaft wappne sich! Es geht diesmal in die Niederungen menschlichen Verhaltens. Dorthin, wo bisweilen selbst der wohlerzogenste Zeitgenosse landet, sobald er aus der Haut fährt: ins Reich der Schimpfworte. Hatte ich schon erwähnt, dass Freund Walter eine cholerische Ader besitzt? Die tritt zwar selten zutage, doch im Fall der Fälle kotzt er einen Sturzbach von Vokabeln aus dem unschön verzerrten Maul, die niemand ihm gegeben hätte. Das traditionelle Arschloch respektive die Arschgeige gehören ebenso dazu wie der jüngst wieder zu Ehren gekommene Ziegenficker.
Hinterfotziges Rindviech, blöde Sau, dummer Hund sind Standards, die in unterschiedlicher Kombination auftauchen. Damit will der Kerl einen im Zornesmoment zwar verletzen, glaubt aber selbst nicht an solche Wirkung. Denn natürlich weiß er, dass weder Rind noch Hund und erst recht nicht Sau blöd sind. Und hinterfotzig können Tiere sowieso nicht sein, weil der aus dem Bayerischen stammende Begriff nunmal nichts zu tun hat mit Geschlechtsteilen, sondern sich auf den Mund im Gesicht (altbayerisch: Fotze) bezieht und Doppelzüngigkeit, Verlogenheit, Heimtücke meint.
Sexus-Schimpfwörter meidet Walter ohnehin weitgehend, trotz ihrer dieser Tage wieder ausufernden Beliebtheit. Irgendwann bemerkte er, dass die Benutzung selbiger postwendend auf den Nutzer zurückfällt nach der Devise: Wo hast du dir das denn gefangen? Umso lieber schlägt er mit Begriffen um sich wie Haderlump, Galgenstrick, Kesselflicker, Fensterrahmentänzer, Tunichtgut, Hallodri... Was besonders lustig ist, sobald junge Leute dabei sind. Die erfassen das Beleidigungspotenzial dieser Worte gar nicht. Man muss sie erklären. Den Haderlump etwa so: Mieser Typ, der die Mädels reihenweise flachlegt, ohne sich um die Folgen zu kümmern.
Einige Zeit benutzte Walter die Wendung „dumm wie Brot” – bis wir begriffen, dass wir gar nicht begreifen, was an Brot dumm sein soll. Meine Oma schimpfte in den 1960ern noch: Der oder die „ist evangelisch”. Den verunglimpfenden Hintersinn daran hatte ich damals so wenig kapiert wie bei den Worten „Krauts”, „Boche”, „Piefkes”, mit denen Angloamerikaner, Franzosen, Österreicher uns Deutsche belegten. Später verstand ich, dass sich der Schimpf- und Herabsetzungcharakter vieler Worte oft erst aus dem kulturhistorischen Zusammenhang ergibt. Aus dem Mund einer erzkatholischen alten Frau des Jahrgangs 1899 bedeutete „der ist evangelisch” halt soviel wie „das ist ein gottloser, zu allen Schandtaten fähiger Gauner”, und „diese Hexe” soviel wie „verdorbenes, raffiniertes, skrupelloses Hurenweib” oder neudeutsch: Bitch.
Eine düstere Erinnerung hat der Nachkriegsgeborene an Kindheitssilvester, wenn die Väter den Buben erlaubten, die „Juddefäzz” anzuzünden. Für uns waren das nur rote Minikracher. Die süddeutsche Dialektform von „Judenfurz” sagte uns so wenig wie der Satz über geldgierige Verwandte: „Des sin arge Judde”. Der gedankenlose Sprachgebrauch von damals beschämt mich noch heute. Weshalb ich zurückhaltend bin, wenn über Negerküsse oder Zigeunerschnitzel disputiert wird. Klar, man kann es übertreiben mit der sprachlichen Correctness; und literarische Klassiker von diskriminierenden Begriffen reinigen zu wollen, ist absurd. Was jedoch den aktuellen Sprachgebrauch angeht, so darf man sich zumindest mal fragen: Wollten wir ständig als Kraut, Boche, Piefke oder gar Adolf bezeichnet werden?
(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 21. Woche im Mai 2016)