Ich wäre gern ein Gutmensch

Quergedanken Nr. 132

ape. Im Laufe einiger Jahrzehnte erleben widerspenstige Gesellen so manchen Versuch, sie mit Worten zu steinigen. In Jugendjahren etwa schimpfte mich der altdeutsche Mainstream „Faulenzer, Gammler, Kommunist”, empfahl mit sich überschlagender Wutstimme „geh doch rüber!”. Traditionsbewusste deutsche Deutsche wünschten einen bisweilen auch „ins Gas”. 1989 wurden dann die Begriffe „vaterlandsloser Geselle” und „Vaterlandsverräter” aus der Weimarer Mottenkiste geholt. Damit wurde nach allen geschmissen, die umstandslosen Anschluss und Verramschung des vormaligen DDR-Gebietes nicht für das Gelbe vom Ei hielten.

Zum Jahrtausendwechsel machte ein bis dahin unbekanntes Wort als Beschimpfung Karriere: „Sozialromantiker”. Das bekam jeder vor den Latz geknallt, der zu bedenken gab, dass die neoliberale Entfesselung des globalen Kapitalismus ökonomisch, ökologisch und sozial eher geschichtliche Sackgasse sei als der Weisheit letzter Schluss. Und wie wir dieser Tage feststellen, ist der Weg vom „Sozialromantiker” zum „Gutmensch” ebenso kurz wie der vom Schlachtruf „Geh doch rüber!” zur Pedigisten-Parole „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!” Selbst die Formel „ins Gas” hat wieder Konjunktur, zumindest bei den Rumpelgeistern im Internet.

Deutschland lieben, geht's auch 'ne Nummer kleiner mit den nationalen Idealen? Ich kann die eine oder andere Frau lieben, auch meine Kinder. Ich kann vielleicht meine Geburtsheimat Neckartal und meine Wahlheimat Westerwald lieben. Aber eine von Preußen ausgehende Gebietsordnung mit einem darüber gestülpten politischen Staatsgebilde nachher wechselhaften Zuschnitts: Wie, bitteschön, soll man das lieben? Allenfalls kann man den heutigen republikanischen Status quo hoch schätzen.

Ich kann Beethovens Musik lieben, habe aber mit dessen „seid umschlungen Millionen” Probleme. Denn: Es gibt da Typen, die ich so gar nicht umschlingen möchte. Dies umso weniger, wenn sie unterwegs zu sich selbst plötzlich einen einzig wahren Gott finden oder den Herzschlag irgendeiner nationalen Volksgemeinschaft verspüren. Gerne wäre ich ein guter Mensch. Helfer der Schwachen, Tröster der Verzweifelten, Aufklärer der Irregeleiteten, Verteidiger der Freiheit und Würde aller ohne Ansehen von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Religion und Weltanschauung. Gerne wäre ich also einer, der unverbrüchlich nach den Maximen des Grundgesetzes, der Menschenrechte und des abendländischen Moralkanons lebt – und sich deshalb Gutmensch nennen dürfte.

Doch ich kriege es leider nicht hin. Weil ich gar nicht so viel fressen kann, wie ich kotzen möcht' angesichts der silvestrigen Jagdszenen vor dem Kölner Bahnhof und der zugleich losbrechenden blindwütigen Hatz gegen alle und jeden, die aus dem Ausland kommend in Europa Schutz und eine Lebensperspektive suchen. Ich werde meinen Ekel nicht los vor „Mitmenschen”, die Frauen oder Fremde oder Arme oder Andersgläubige für minderwertig halten. Ich werde meinen Widerwillen nicht los gegenüber Zeitgenossen, die eine Welt aus Grauschattierungen in das kalte Schwarz-Weiß ihrer Vorurteile tauchen.

Walter hat wieder seinen Wanderstock mit in die Stadt genommen. Damit will er nötigenfalls neuen Bürgerwehren ebenso Einhalt gebieten wie kriminellen Frauengrapschern. Nein, diese Neigung zur Selbstjustiz ist nicht gut. Doch auch der Freund hat wohl noch einen weiten Weg vor sich, bis er für den Ehrentitel „Gutmensch” reif ist.

 

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 4./5. Woche im Janur/Februar 2016)

 

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