Selbstversuch mit Fatzebuck

Quergedanken Nr. 123

ape. „Verräter!” zischte Freund Walter böse, knallte die Tür zu und ward seither nicht mehr gesehen oder für mich zu sprechen. Ernstes Zerwürfnis? Schon irgendwie. Schließlich habe ich eine alte Übereinkunft gebrochen, die da lautete: Nie würden wir uns den Lockungen der „Sozialen Netzwerke” ergeben und uns in deren Krakenarme werfen. Dennoch habe ich an Ostern nach langem Ringen – widerwillig, aber neugierig – einen Selbstversuch mit Fatzebuck gestartet. Sprich: eine eigene Präsenz auf Facebook (fb) eröffnet. Walter scholt meine Gründe als „faule Ausreden dafür, dass du dich mit der Hure Mainstream ins Bett legst”.

Nein, mein Gewissen ist nicht rein. Auch wenn die Gründe nachvollziehbar sein mögen. Erstens: Als Gesellschaftskritiker kann man schwerlich eine Strömung nur vom Hörensagen kennen, die auf dem Wege ist, allgemeine Kulturtechnik zu werden. Ich will wissen, was da auf fb vor sich geht, wie sich das Mittun anfühlt. Zweitens: Wie alle Publizisten bin ich auf Reichweite versessen – will mehr davon, ohne Märkten/Publikum nach dem Mund zu schreiben. Von fb versprach ich mir höhere Aufmerksamkeit für die eigene autonome website www.pecht.info. Drittens: Es heißt doch, man könne über fb Revolutionen anzetteln. Was ich indes kaum noch glauben mag angesichts der weithin aus Geplapper, Ratscherei, Kalauerei, Bildchentausch bestehenden Kommunikation in der hiesigen fb-Gemeinde.

Kinners, da ist vielleicht was gebacken! Der Waschweibertreff feiert ebenso fröhlich-digitale Wiederkehr wie der Mannsbilderstammtisch, Omas Postkartenkultur oder Opas Familienfotoalbum. „Guck mal, wie schee! De Hugo vorm Watzmann, und die Elies hat dicke Fieß”, gluckste man früher. Im Internet klingt das heute anders, ist aber dasselbe. Doof? Ach was! Dummgebabbel, Sprüchekloppen, Witzereißen gehören seit Urtobak zum sozialen Kitt menschlicher Gemeinschaften. Allerdings sind die fb-„Freundeskreise” rasch ziemlich groß und droht Gefahr, dass freie Zeit und Hirn unter allzu viel Kitt begraben werden.

Acht Tage nach meinem fb-Start und seiner Bekanntgabe mittels Aussendung einiger Dutzend "Freundschaftsanfragen" hatte ich 400 „Freunde”. So nennen Mr. Zuckerberg und Co., fälschlich, vernetzte Bekannte, Kontakte und irgendwie aneinander interessierte Leute. Von den anfänglichen 400 waren mir 150 bloß namentlich bekannt, weitere 100 völlig unbekannt. Bei den übrigen 150 handelte es sich um mir mehr oder minder nahestehende, heutige oder ehemalige Kollegen, Bekannte, Verwandte, Mitschüler, Mitstreiter nebst zuallererst -innen. Freunde im tiefen Sinn des deutschen Wortes sind davon nur ein handvoll. Bemerkenswert übrigens: Die meisten meiner realen Kontaktpersonen scheinen in fb gar nicht vertreten.

Ob ich schon was gelernt habe beim Selbstversuch mit Fatzebuck? Viele Phänomene sind mir (noch) rätselhaft. Aber zwei Dinge liegen klar: fb lässt sich auch als ernsthaftes Forum nutzen. Etliche meiner fb-”Freunde” machen davon sogar recht lebhaft Gebrauch – wenngleich ein bisschen maulfaul. Und: Diese junge Sphäre des urmenschlichen Mitteilungs- und Austauschbedürfnisses bedarf rasch des radikalen Schutzes vor der Ausschlachtung durch Bigdata. Je länger ich mich auf fb herumtreibe, umso größer der Zorn, dass die Politik den Datenkraken freie Hand lässt. Das größte Problem aber ist jetzt: Wie mich mit dem besten aller echten Freunde, mit Walter, im realen Leben aussöhnen?

(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Publikumsmedium außerhalb dieser website 17./18. Woche im April 2014)

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