Euro-Land fast abgebrannt

Quergedanken Nr. 64

Sollte jemand ein paar alte D-Mark in der Matratze haben: Bloß nicht weggeben! Man könnte sie wieder brauchen. Falls vom letzten Urlaub noch schwedische Krönchen oder schweizer Fränkli in der Schublade rumliegen: Unbedingt behalten! Womöglich sind sie demnächst Millionen (Euro) wert. Schon ein seltsames Gefühl, beim Schreiben der Kolumne nicht zu wissen, ob zwei Wochen später nach Erscheinen des Magazins das Honorar statt mit Euro eventuell mit Kartoffeln, Jazzplatten aus der Sammlung des Herausgebers oder sonstigen Naturalien bezahlt  wird.

„Der Herr Autor übertreiben mal wieder maßlos“, wird von verschiedenen Seiten eingewandt. Ach ja?! Mein Freund Walter hält für diesen Fall zurzeit ein hübsches Bild parat: „Die DDR hätte rein wirtschaftlich locker 20, 30 Jahre länger durchhalten können, hätten die Finanzmärkte sie mit einer ähnlichen Menge Kredite versorgt, wie westliche Staaten seit 1989 Schuldenberge anhäufen.“ Politisch mag man sich das nicht wünschen, aber ökonomisch wäre es durchaus gegangen.

Sie erinnern sich vielleicht an die damaligen Zwischenrufe einiger Querköpfe, wonach der Untergang des so genannten Sozialismus keineswegs den Sieg des realexistierenden Kapitalismus bedeute. Angesichts der zugespitzten dritten Phase der jüngsten Finanzkrise (1. Phase = Immobilien/Banken; 2. = Griechenland; 3. = Euro-Krise) sind Walter und ich zu folgendem Schluss gekommen: Die große Frage lautet keineswegs, ob der Kapitalismus bankrott geht, sondern wann... –  wann sich nicht mehr vertuschen lässt, dass er längst bankrott ist.

Und wer hat Schuld an dem Schlamassel? Die Griechen mit ihrem Schlaraffendasein sind es, für das wir nun bluten. Und die Portugiesen, Spanier, Italiener. So zumindest geht hierzulande die Mär. Da staunen 66 Prozent griechischer Rentner, die weniger als die 600 Euro der dortigen Durchschnittsrente kriegen. Da glotzen die griechischen Lehrer, deren Bezüge 40 Prozent unter denen ihrer deutschen Kollegen liegen. Da kratzen sich die  Angestellten in Griechenland am Kopf, deren Gehalt laut deutscher Bundesanstalt für Arbeit im Durchschnitt bloß 41 Prozent des hiesigen beträgt. Da kommen jene drei Viertel griechischer Staatsbediensteten ins Grübeln, die weniger als 1500 Euro/Monat verdienen.

„Die Griechen“ gibt es so wenig wie „die Deutschen“. Es gibt hier wie dort und anderswo welche, die noch immer in Saus und Braus leben würden, selbst wenn man ihnen 90 Prozent ihrer Einkünfte wegnähme. Es gibt hier wie dort welche, die sich bei 20 Prozent Einkommensverlust gewaltig  strecken müssten, aber irgendwie gerade noch über die Runden kämen. Und es gibt hier wie dort jene, die nicht wüssten, wie sie auch nur 5 Prozent Einbußen verkraften sollten.

Daran, ihr Leute, denkt, wenn es heißt, dieses oder jenes Land respektive Volk habe „über seine Verhältnisse gelebt“. Daran denkt, wenn nun allüberall Sparorgien, Rationalisierungswellen,   „Marktbereinigungen“ losbrechen. Oder wenn gar (nicht nur) Euro-Land nebst Währung abgefackelt wird – weil die Politik ein paar Tausend durchgeknallten Nadelstreifen-Gangstern auf den Finanzmärkten erlaubt, die Welt nach Gusto zu terrorisieren.

Kommt es so dicke wie befürchtet, könnten im nächsten Jahr wegen um sich greifender Konsumflaute am Deutschen Eck selbst die Gondeln Trauer tragen. „Sei doch nicht so negativ“, ruft Walter und hält mir wohlgemut einen Zettel unter die Nase. Darauf steht gekritzelt, was der 79-jährige Grafiker und Illustrator Tomi Ungerer neulich im SWR zum besten gab: „Mir ist eine Barrikade noch immer lieber als ein Stau auf der Autobahn“.

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