Zum Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch
Wieder eine wertvolle Lektüreempfehlung / Kommentar
ape. Das gab's selten: Londoner Buchmacher und Stockholmer Szene-Auguren fanden in den letzten Stunden vor Bekanntgabe des Literaturnobelpreis zu weitgehender Einmütigkeit. Dass heuer Swetlana Alexijewitsch in bekommen würde, galt zuletzt als ausgemacht. Zu sehr schien die unterstellte Neigung der neuen Sekretärin des Nobelpreiskomitees, ihre Amtszeit möge mit der Ehrung einer Frau beginnen, auf die Weißrussin zu deuten. Doch das ist ebenso mediale Kaffeesatzleserei wie der alljährliche Disput, nationaler und kontinentaler Proporz sei jeweils ein wesentliches Merkmal der Entscheidung.
Wichtig ist vor allem dies: Über all die Jahrzehnte erwies sich noch jeder Entscheid als wertvolle Lektüreempfehlung. Dass mancher manchmal fand, die Wahl hätte diesen oder jenen besseren, bedeutenderen Autoren treffen können, sollen, müssen, ändert daran nichts. Die Blickwinkel und Maßstäbe gehen global eben auseinander. Gerade aber die bei Bekanntgabe dem breiten Publikum hierzulande noch unbekannten Preisträger bescherten nachher oft die wertvollsten Leseabenteuer.
Das gilt auch für Swetlana Alexijewitsch. Zwar ist sie im Buchbetrieb beileibe keine Unbekannte. Doch stößt deren recht besondere Art von Literatur wegen ihrer stark journalistischen Komponente bei Puristen bisweilen auf Naserümpfen. Was wäre dem entgegenzuhalten? Erstmal etwas von ihr lesen, um dann womöglich festzustellen, dass ihre Methode einen ganz eigenen Reiz hat, der weit über das Genusslesen hinausgeht. Denn aus tausenden Gesprächen mit Betroffenen formt sie intensive, erhellende, berührende Textbilder von den Wirkungen etwa des Zweiten Weltkrieges, des russischen Afghanistan-Krieges, der Katastrophe von Tschernobyl auf Menschen und das Menschliche. Womit die Literatur auch und gerade weitab der Elfenbeintürme bei ihrer ureigensten Essenz ist.
Andreas Pecht