Du sollst X für ein U halten

Quergedanken Nr. 151

ape. „Nehmen sie das einfachere der beiden Produkte, das reicht für ihre Zwecke vollauf und ist wesentlich preiswerter.“ Wann habt Ihr zuletzt einen Verkäufer so etwas sagen hören? Solche Fälle kommen vor, aber sie sind selten. Es mag ja sein, dass ich an Paranoia leide. Aber immer wenn ich einen Markt der fetten Handelsketten, ein Kaufhaus, einen der großen Elektronik- oder Möbelläden betrete, begleitet mich das ungute Gefühl: Hier wollen sie dich beduppeln, lackmeiern, hinters Licht führen, über den Tisch ziehen. Ganz arg macht dieses Gefühl sich bemerkbar im Umgang mit Banken, Versicherungen, Internet-/Telefonanbietern. Am schlimmsten aber wird es angesichts der Werbung solcher Anbieter.

Da gibt es die brüllenden Angebote „Nur noch bis ….“ so billig, so gut, so einmalig. Die guck ich nicht mal mit dem nackten Hintern an, denn hetzen und erpressen lasse ich mich nicht. Ohnehin ist das eine verlogene Masche, sind die Produkte oft weder billig noch gut noch einmalig und sowieso nur künstlich verknappt. Marketingtrickserei, die auf Blödheit der Leute baut. Dann die „Ab“-Angebote. „Ab XXX Euro …“ gäbe es eine tolle Sache oder Leistung. Mir signalisiert das Werbungs-„Ab“: Für den angegebenen Betrag kriegst du das angepriesene Produkt niemals. Du bekommst die 1a-Version gezeigt, kannst zum „Ab“-Preis aber bloß die 5d-Ausgabe kaufen – und das auch nur, wenn du das neue Auto selbst im Werk abholst, den neuen PC eigenhändig zusammenbaust oder der Versicherung ein Null-Risiko nachweist. Bei der TV-Werbung stehen die hinterfotzigen Einschränkungen bisweilen gesetzesgemäß unten auf dem Bildschirm – doch so klein geschrieben, dass selbst ein Adler mit Lupe sie nicht lesen könnte. Da wird nicht nur der Verbraucher, sondern auch der Gesetzgeber verarscht, dem das offensichtlich aber wurscht ist.     

In der Marketingwelt ist wenig bis nichts wie es scheint. Freund Walter kauft seit Jahren im immer gleichen Supermarkt einen Teil seiner Lebensmittel. Er und der Filialleiter sind, sagen wir mal: bestens vertraut miteinander. Denn was Walter am Packungsaufdruck nicht versteht, will er von ihm erklärt bekommen. Und er versteht sehr oft sehr viel nicht. „Kann ja wohl nicht angehen“ mault der Freund, „dass ich einen Universitätsabschluss in Lebensmittelkunde und Chemie haben muss, um erkennen zu können, was in einer Fressalienpackung wirklich drin ist – wenn denn überhaupt alles draufsteht“. Also muss der Filialleiter ein ums andere Mal erläutern, was er häufig selbst nicht weiß – über E‘s und Fette und Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, Ersatzstoffe oder über den Mikroanteil von Früchten in „Fruchtspeisen“, auf denen riesengroß und wunderschön Erdbeeren, Kirschen, Pfirsiche abgebildet sind.

Fühlt sich Walter für dumm verkauft, kann er, sagen wir mal: etwas ungehalten werden. Und er fühlt sich oft für dumm verkauft. So etwa, wenn im Supermarkt gemäß modernster Marketingforschung mal wieder allerhand umgeräumt worden ist. Dann donnert alsbald der Schlachtruf über die Regale: „Wo, zur Hölle, ist mein Kaffee?!!!“ Und entgegen jeder Vorhersage der Umsatzsteigerungspezialisten verkürzt sich sogleich die Verweildauer eines der treuesten Kunden um satte 95 Prozent. Das End vom Lied war nach zwei Jahrzehnten wiederkehrenden Aufruhrs: Seit einiger Zeit behalten in diesem Markt einige Produkte ihren festen Regalplatz. Produkte, die samt und sonders seit Jahren zu Walters Haushaltsführung gehören.   

Andreas Pecht

Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 34./35. Woche im August 2017

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