Oh Mensch, du Gewohnheitstier

Quergedanken Nr. 172

Wir nennen uns Homo sapiens, „vernünftiger Mensch“. Eingeleuchtet hat mir das nie. Denn angesichts der Zivilisationsgeschichte bleibt eigentlich nur der Befund: Seit der Mensch sesshaft geworden ist und in hierarchischen Gesellschaften lebt, wird er hauptsächlich von Unvernunft getrieben. Der Oberen liebste Steckenpferde waren immer Ausweitung der eigenen Herrschaftssphäre, Auspressen der Unteren und dass diese einander totschlagen in endloser Abfolge von Kriegen. Ist das etwa vernünftig?

Ist es nicht. Doch wir Deppen haben uns über ein paar tausend Jahre so daran gewöhnt, dass wir diesen Unfug für den naturgesetzlichen Gang der Dinge halten. Weil man aber auf sein Herkommen auch ein bisschen stolz sein will, bilden wir uns entsetzlich viel auf den menschlichen Erfindungsgeist ein. Obwohl der eigentlich nur die alte Gewohnheit in verändertem Anstrich fortsetzt. Wir sind stolz darauf, aus den Jagdwerkzeugen der steinzeitlichen Vorfahren Kriegswaffen gemacht und sie zu Weltzerstörungmaschinen fortentwickelt zu haben. Oder darauf, von einer Generation zur nächsten mehr zu werden, mehr und ständig größere Dinge zu schaffen, mehr von allem zu verbrauchen.

Gut, wir fielen wiederholt auch auf die Schnauze: Pharaonenwelt – untergegangen; griechische Hochkultur – untergegangen; Imperium Romanum – untergegangen; Maya-, Azteken-, Khmer-Königtümer – untergegangen; chinesisches Kaiserreich – untergangen; deutsches Kaiserreich – untergegangen; Drittes Reich – untergegangen; britisches Weltreich – untergegangen; US-Vorherrschaft in Südostasien – untergegangen; Sowjetunion – untergegangen; Menschheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – um ein Haar untergangen. Was hat der Sapiens-Mensch aus all dem gelernt? Freund Walter bringt es auf die knackige Formel: „Nix!“

Ergo: Wir sind keine Vernunftwesen, sondern im Grunde primitive Gewohnheitstiere. Mehr, größer, schneller: Das vor allem treibt die planetare Gemeinschaft des Homo sapiens an. So war‘s immer, so sind wir‘s gewöhnt, so soll es bleiben. Das neue Haus größer als das alte; die Autos von einer Anschaffung  zur nächsten stärker, schneller, fetter; Vorratskammern und Mülleimer von Jahr zu Jahr praller; die Industrieproduktion von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verdoppelt; das Konsumklima, für welch nutzlosen Krempel auch immer, von Generation zu Generation auf neue Höhen getrieben…

Das sind wir seit Kindertagen gewohnt, das ist fein. Egal, ob es ein paar Milliarden Mitmenschen dennoch an Nötigem oder am Nötigsten mangelt – Hauptsache die Weltwirtschaft wächst (auf eine vernünftigere Idee ist sie bislang ja nicht gekommen). Und Hauptsache, man kann mit seinem 90-Kilo-Körper in Tonnen schweren Kraftwerken auf vier Rädern rumrasen und jeden Tag drei Schnitzel von gequälten Schweinen verdrücken (das macht schließlich Freiheit aus).  
 
„Nu geh‘ du mal in Urlaub, den Schluss schreibe ich“, bietet Walter seine Freundschaftsdienste an. Heraus kommt dies: „Plötzlich hat es RUMMS gemacht. Mutter Natur streikt. Sie will sich nicht länger im Dienste unserer blödsinnigen Gewohnheiten aussaugen, verhackstücken, verseuchen, vergiften, vergewaltigen lassen. Und sollte dem belämmerten Klugscheißer-Homo doch ein winziger Kern von Lernfähigkeit innewohnen, er könnte ihre per Klimawandel und Artensterben übermittelte Botschaft verstehen, die da sagt: Weniger ist mehr. Gewöhnt euch dran – oder geht unter.“

 

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