Die öffentliche Meinung zu Griechenland ist mit Vorurteilen durchsetzt

Kommentar zur Griechenland-Krise

ape. Es hat sich im Verlauf der Griechenlandkrise in der öffentlichen Meinung hierzulande eine Hauptströmung verfestigt: Danach sind Regierungschef Alexis Tsipras und sein Parteienbündis Syriza bloß halbstarke Politdilettanten, verantwortungslose Dogmatiker und sowieso nicht mehr bei Trost. Danach hätte die griechische Regierung aus schierem Trotz selbst die zuletzt großherzigsten Angebote von Gläubigern und EU leichtfertig abgelehnt. Danach würde nun am Sonntag das griechische Volk über den Austritt aus dem Euro-Raum abstimmen.

Dass und wie ein solches Meinungsbild zustande kommt, ist angesichts des verfahrenen Gangs der Dinge nachvollziehbar. Gleichwohl haftet ihm in seinem komplexen Furor eine gewisse Einseitigkeit, ja der Geruch des bewusst oder unbewusst gepflegten Vorurteils an. Es ist beispielsweise unzutreffend, dass die Griechen am Sonntag über Verbleib oder nicht im Euro abstimmen. Das Referendum fragt vielmehr nach der Haltung des Hellas-Volkes zu den Bedingungen der Geldgeber. Dass dabei die Mitgliedschaft in der Euro-Zone zur Abstimmung stünde, das ist eine einseitige, der Volksabstimmung von außen übergestülpte Interpretation der Geldgeber.

Lassen wir einmal beiseite, ob Tsipras und sein Emissär Varoufakis klug oder dumm, entschlossen oder unverschämt, als eigensinnige Realisten im Interesse ihres Volkes oder als Traumtänzer verhandelt haben. Stellen wir uns ein kleines Szenario der Selbstbetroffenheit vor: Sie haben vom verstorbenen Onkel einen Handwerksbetrieb geerbt, den Sie weiterführen wollen. Das Kleinunternehmen ist aber völlig überschuldet, weil, erstens, der Onkel und schon dessen Vater ständig übermäßig Geld für privaten Luxus herausgezogen haben. Weil, zweitens, die Bank über Jahrzehnte großzügig und von der Verwandtschaft gern angenommene Kredite anbot; freilich geknüpft an die Bedingung, bei mit der Bank verbandelten Firmen so allerhand einzukaufen, egal ob der Handwerksbetrieb das Zeug braucht oder nicht.

Nun gerät plötzlich die Bank in Schieflage, fordert die zuvor dem Onkel immer wieder gestundeten Kredite vom daran unschuldigen Erben zurück. Sie können nicht bedienen, weshalb ein Konsortium aus staatlichen Stellen und anderen Banken ihnen ein Rettungsprogramm offeriert, mit dessen Hilfe sie den Schuldendienst für die ursprünglichen Kredite leisten sollen. Mit dem Programm verbunden ist die Bedingung: die Hälfte Ihrer Handwerker entlassen, für die übrigen den Lohn halbieren, Maschinen und Werkzeuge verkaufen (um sie nachher zu mieten) sowie einen vom Konsortium eingesetzten Geschäftsführer akzeptieren, der künftig das Kommando über Ihren Betrieb hat.

Stellen Sie sich ferner vor, dass im Gegensatz zum Hallodri-Onkel für Sie als Jungunternehmer zu den wichtigsten Werten gehört, Ihren Handwerkern Lohn und Brot bei ordentlichen Arbeitsbedingungen zu geben. Für genau diesen Wert aber interessiert sich das Konsortium nicht die Bohne. Die Geldgeber bestehen vielmehr darauf, ad hoc im Interesse des Schuldendienstes eine Betriebssanierung vorzunehmen, die die Beschäftigten in Not stürzt, jedoch keinerlei Perspektiven für eine gedeihliche Entwicklung beinhaltet.

Zugegeben, das Modell ist nicht sehr realistisch. Denn besagten Handwerksbetrieb hätten die Geldgeber alsbald als Verlust abgeschrieben. Gleichwohl macht das Modell die Situation nachvollziehbar, in der die griechische Regierung steckt. Und es könnte hilfreich sein, deren Agieren einmal unter diesem Blickwinkel zu bedenken. Man mag das Vorgehen von Tsipras und Co. dann noch immer für falsch oder ungeschickt halten. Vielleicht aber wird man es eher verstehen  als verzweifelten Akt politischer Erben, die auslöffeln müssen, was ihre korrupten Klientelvorgänger dem Land eingebrockt haben. Und die dabei partou nicht dem hergebrachten Mechanismus internationaler Finanzpolitik folgen wollen oder können: Gewinne verteilen die Reichen unter sich, für Verluste werden die kleinen Leute in Haftung genommen.               
                                     
Andreas Pecht

 

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