Ein Abend über Felix Mendelssohn und Fanny Hensel
Peter Härtling und Musikfreunde bei RheinVokal
ape. Bingen. „Preußen am Rhein” war die Veranstaltung am Wochenende in der Villa Sachsen zu Bingen betitelt. Ein etwas bemühter Bezug zum diesjährigen Jubiläum 200 Jahre preußische Rheinprovinz. Denn es ging bei diesem ansonsten wundervollen Abend nicht um Freud oder Leid berlinischer Herrschaft über das Rheinland von Kleve bis Bingen, sondern um die Geschwisterbeziehung zwischen Felix Mendelssohn Bartholdy und der vier Jahre älteren Fanny, verheiratete Hensel.
Zwar weist SWR2-Redakteur Thomas Koch – Ideengeber und Arrangeur dieses Multigenre-Events im Rahmen des Festivals RheinVokal – zu Beginn auf Aufenthalte der Mendelssohns in ihrem Koblenzer Weingut hin. Doch ist damit der Pflicht zum Regionalbezug Genüge getan. Im Weiteren verortet Peter Härtling mit Passagen aus seinem Roman „Liebste Fenchel” das Geschehen in und ums Berliner Elternhaus der hochbegabten Geschwister. Der 82-jährige sitzt am Rande einer Bühnenfläche, deren Großteil belegt wird vom auf fünf Köpfe verstärkten Signum Streichquartett sowie einem Flügel, an dem Susanne Lang die Sopranistin Jasmin Hörner begleitet.
Härtling lauscht aufmerksam den wechselnden Musikvorträgen: mal Instrumentales von Felix wie die Sinfonia c-Moll und das Streichquintett Nr. 2, mal Gedichtvertonungen Fannys. Wenn er selbst dran ist, wird der Schriftsteller zum schier magisch anziehenden Zentrum des Saales. Hellwach und bisweilen den Schalk im Auge, erzählt er mit leiser, knorriger Stimme voller Wärme, ja Liebe für das Mendelssohn'sche Geschwisterpaar. Vom Werden der beiden im großbürgerlichen, weltläufigen, kunstsinnigen jüdischen Familiendomizil. Von deren Konkurrenz untereinander bei fast symbiotischer Beziehung zueinander. Von ihrer Hingabe an die Musik. Von beider allzu frühem Vergehen – im Mai 1847 starb Fanny mit 41 Jahren, sechs Monate darauf folgte ihr der 38-jährige Bruder.
Eine Rarität kommt zu Gehör: „Lied zum Geburtstag meines lieben Vaters”, komponiert von der 15-jährigen Fanny, nie verlegt, in Bingen nun auf Basis der Urschrift realisiert. Und wie die junge, hübsche Jasmin Hörner in strahlendem Rosenkleid und um den Kopf gewundenem Flechtzopf mit sehr kräftigem, den kleinen Saal schier überfüllendem Sopran dies Stückchen singt, wird sie zum Sinnbild für Fanny: starkes, kluges Mädchen, dann selbstbewusste Frau, lebensfrohe Zeitgenossin, Musikerin von Rang – die indes damit hadert, dass die Sitten damaliger Zeit und des Mendelssohn-Clans ihr ein öffentliches Leben als Pianistin und Komponistin verwehren.
Felix darf mit Hauslehrer Zelter Goethe in Weimar besuchen. Sie muss daheim bleiben. Immerhin lässt der Geheimrat ein für sie verfasstes Gedicht übermitteln, das Fanny zum Lied vertont. Nachher bereist Felix Europa, wird mit eigenen Werken zum Star; zurecht wie das Signum-Ensemble in Bingen mit versiertem Verve belegt. Fanny muss, obgleich kaum minder talentiert, sich mit Privatkonzerten im Gartensaal der Familienvilla bescheiden und ist dem Maler Wilhelm Hensel eine gute Ehefrau.
Von dem allem erzählt Härtling, singen Fannys Lieder nach Versen von Goethe, Eichendorf, Heine und anderen. Davon und von einer unverbrüchlichen Geschwisterliebe kündet ebenso der Hunderte Schreiben umfassende Briefwechsel zwischen Felix und Fanny, aus dem Birgitta Assheuer in situativ trefflichem Ton zitiert. Roman, Gedichte, Briefe, Kompositionen beider: Der Abend atmet den Geist eines Gesamtkunstwerkes romantischer Art – und macht seinen irrigen Titel „Preußen am Rhein” rasch vergessen.
Andreas Pecht