Neujahrsessays

Gedanken über eine neue Zeit, in der sich zwar alles ändert, aber keinerlei Vorstellung existiert, wohin es eigentlich gehen soll

ape. Alles muss anders werden! Dies war die Maxime im zurückliegenden Jahr, wird es auch im kommenden sein. Die Welt ist mal wieder in Turbulenzen geraten, die bisherige Lebensweisen sämtlich in Frage stellen. Unser traditionelles Neujahrs-Essay bemerkt indes eine fatale Leerstelle in dieser Umbruchsphase: Nirgends sind Ideen, Visionen, Utopien sichtbar, zu welcher Art von Gemeinwesen all die Veränderungen letztlich führen sollen.

Der Sozialismus sowjeti scher Ausprägung wurde 1989 zu Grabe getragen. Er hatte den Kampf der Systeme politisch und ökonomisch verloren: Die Menschen mochten weder die Unfreiheit unter der Parteidiktatur noch die staatsmonopolistische Mangelwirtschaft länger ertragen. Doch im 13. Jahr nach der Wende fällt es zunehmend schwerer, den Kapitalismus als "Sieger" zu besingen. Es mehren sich Fragen an die Zukunftstauglichkeit der jüngsten Ausprägungen dieser Wirtschaftsweise, die nunmehr unangefochten global vorherrscht - und sich dabei ganz ungeniert mit unterschiedlichsten Staatsformen von der westlichen Demokratie bis zur orientalischen Despotie verbindet.

Die Demokratie ist dem Wesen nach eine voluntaristische Herrschaftsform. Die frei gewählte Staatsführung soll dem in freier Diskussion gebildeten Volkswillen Geltung verschaffen und zugleich die individuellen Rechte der Bürger schützen. Somit hat in der Demokratie vom ideellen Grundsatz her das Primat von Politik und Recht zu gelten.

Nationale Machtlosigkeit

Betrachtet man jedoch die gegenwärtige Entwicklung, so findet man die Politik immer häufiger in der Rolle einer bloßen Reparaturkolonne. Atemlos rennen ihre nationalen Fraktionen hinter der weit gehend eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorchenden Maschine Globalwirtschaft her, um nur einige der unangenehmsten Folgen von derem Wirken zu mildern. Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit, Verfall sozialer Strukturen und humaner Werte, Unterwerfung von Wissenschaft und Kultur unter Verwertungsmaximen seien als Stichworte genannt.

Unterstellen wir einmal, dass unsere Politiker und Wirtschaftsführer guten Willens sind, ihr Bestes auch im Interesse des Gemeinwesens zu tun. Wenn sich trotzdem scheinbar unlösbare Widersprüche häufen, können Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Systems selbst nicht ausbleiben. Einige Beispiele:

  • Einerseits ist die Notwendigkeit zum öffentlichen wie privaten Sparen augenfällig. Andererseits stürzt Konsumreduzierung die Wirtschaft nur noch tiefer in die Krise.
  • Einerseits sollen ältere Arbeitnehmer zwecks Bekämpfung der Arbeitslosigkeit früher in Rente gehen. Andererseits liegt zwecks Sicherung des Rentensystems eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nahe.
  • Einerseits war die Produktivität pro Kopf der Beschäftigten nie so hoch wie heute. Andererseits sinkt der Wert ihrer Arbeit in wachsendem Tempo.
  • Einerseits schafft unsere Volkswirtschaft mehr "Reichtümer" denn je. Andererseits ist die Gesellschaft scheinbar so "verarmt", dass sie das Niveau der Sozialsysteme nicht halten kann.
  • Einerseits wäre es vernünftig, die Zahl der Autos auf den Straßen ebenso zu verringern, wie den Ressourcenverbrauch generell. Andererseits wären durchgreifende Fortschritte in dieser Richtung für die Wirtschaft katastrophal.
  • Einerseits nimmt im unteren Drittel der Gesellschaft Armut immer mehr zu, wächst im mittleren die Gefahr schnellen sozialen Abstiegs. Andererseits konzentrieren sich im oberen Drittel ständig größere Teile des Reichtums.
  • Einerseits beklagen wir den zunehmenden Verfall der Familien. Andererseits erfordert die strukturelle Wirtschaftsentwicklung den allseits mobilen und flexiblen (Wander-)Menschen.
  • Einerseits müsste das Wachstum der Weltbevölkerung unbedingt gestoppt werden, andererseits wollen die Industrienationen unbedingt ihre sinkende Geburtenrate wieder in die Höhe treiben ...

Wachstum als Staatsziel

Die Liste der Widersprüche ließe sich beliebig verlängern und auf sämtliche gesellschaftlichen Bereiche ausdehnen. Doch es sind heute die wirtschaftlichen Größen, von denen alles Übrige abhängt. Menschenwürde, Freizügigkeit, soziale Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Wohlfahrt und Glück für jeden in einer intakten Umwelt - diese große Utopie, die ureigentliche Sinn- und Zweckbegründung der Demokratie wurde, verliert zusehends ihre Erstrangigkeit in der Staats- und Gesellschaftspolitik sowie in den Köpfen vieler Bürger. Vordergründig noch als ideeller Maßstab hochgehalten, werden diese Grundwerte in Wirklichkeit von den "wirtschaftlichen Zwängen" des Globalismus mehr und mehr ins Museum für pietistische Nostalgie abgedrängt. Förderung der "Wettbewerbsfähigkeit" und Steigerung des "wirtschaftlichen Wachstums" werden de facto zum obersten Staatsziel. Darum ringen nun alle mit aller Macht, mal mehr, mal weniger Erfolg versprechend.

Spätestens an dieser Stelle aber beginnt die Katze sich von hinten her selbst aufzufressen. Denn die Geschichte des "wirtschaftlichen Wachstums" besteht tendenziell in einer fortlaufenden Anhebung genannter Widersprüche auf höhere Niveaus. Die Wirtschaftszyklen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges brachten einen kontinuierlichen Anstieg des Arbeitslosensockels auf vier Millionen mit sich. Nach dem nächsten Zyklus könnten es fünf oder mehr sein ....

Neues Wachstum, das Besserung für morgen verspricht, ist nur die Vorbereitung einer noch größeren Krise übermorgen. Von der die menschliche Spezies insgesamt gefährdenden Überschreitung der "Grenzen des Wachstums" mag schon keiner mehr reden. Wer beim Wachstumsspiel nicht mitmacht, schlecht spielt oder als freier Kleinunternehmer im selbstständigen Handel und Gewerbe sowie im Mittelstand schlechte Karten gegen die immer größeren Kapitalballungen hat, der gerät unter die Räder. Weshalb, notgedrungen, alle mitmachen und sich national wie international im Hamsterrad der "Wettbewerbsfähigkeit" abstrampeln: Der Verlierer von heute konzentriert und rationalisiert, bis er Sieger über seinen Mitbewerber ist; dieser dreht nun seinerseits an der Rationalisierungsschraube ...

Die Krux dieses Mechanismus ist, dass einer immer zu Lasten anderer gewinnt - und in jedem Fall zahlreiche Menschen auf der Strecke bleiben sowie riesige Sachwerte vernichtet werden. Recht besehen, funktioniert der Kapitalismus in seiner heutigen globalen Form noch immer nach dem unzivilisierten Gesetz des Stärkeren, nach der Naturregel von fressen und gefressen werden.

Die Kultur- und Geistesgeschichte lässt sich auch als permanenter Diskurs über die Frage betrachten, wie der Mensch diesen archaischen Automatismus überwinden und zu wahrhaft selbstbestimmter Zivilisiertheit fortschreiten kann. Dieser Diskurs hat mannigfache, sinnige wie unsinnige Alternativ- und Zukunftsentwürfe hervorgebracht, von den antiken Staatsphilosophien und diversen Gottesstaat-Ideen über die Vorstellungen der Aufklärer, der humanistischen und der frühsozialistischen Denker oder republikanischen Revolutionäre bis hin zum Versuch einer sozialen Marktwirtschaft als gleichberechtigter Partnerschaft von Arbeit und Kapital.

Womöglich erweist sich auch diese bislang letzte unserer Utopien, die soziale Marktwirtschaft, eben gerade als idealistischer Irrtum. Denn wie die meisten Utopien verlangt auch sie die Herrschaft des menschlichen Willens, in diesem Fall des demokratischen Gemeinwesens, über den Gang der gesellschaftlichen Dinge. Haben wir diese Herrschaft tatsächlich inne? Oder treibt uns nicht eher die Macht des Faktischen in Form der Allgewalt globalisierter Ökonomie vor sich her?

In beiden Fällen darf die Gesellschaft das Streben nach einer besseren Welt nicht aufgeben. Denn wer keine Vorstellung davon hat, was er über den Tag hinaus anstrebt, kann nicht Herr des Verfahrens bleiben oder wieder werden. Doch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben jedwede Utopie diskreditiert und alle heutigen Denker in "Tages- Realisten" verwandelt oder in den Fatalismus getrieben. Das ist nachvollziehbar - doch ohne Visionen bleibt der Mensch ewig nur ohnmächtiger Spielball der Geschichte.

Der Weisheit letzter Schluss?

Dass die Demokratie eine der besten unter den vorstellbaren Staatsformen ist, steht außer Zweifel. Dass aber der turbokapitalistische Globalismus des frühen 21. Jahrhunderts der menschlichen Weisheit letzter Schluss an Wirtschaftskultur sein soll, das zu glauben fällt schwer. Es wäre gar zu erbärmlich, würde der Homo sapiens seine Zukunft einem Automatismus überantworten, der letztlich einem einzigen Grundgesetz folgen m u s s: Wachsen, wachsen, wachsen - wohin auch immer, das aber zu jedem Preis. Gesucht wird: Eine Perspektive, für die zu streiten sich lohnt.

Andreas Pecht

Nach dem "Pisa"-Schock: Unser Bildungswesen braucht eine Neuorientierung

ape. Die internationale Schulstudie "Pisa" hat Deutschland geschockt. Unsere Schüler begreifen Texte nicht, können ihr Wissen nicht praktisch anwenden. Und: Kinder reicher Familien haben bessere Chancen. Alle sprechen nun von der Notwendigkeit des Umdenkens in Schule, Bildungspolitik, Gesellschaft. Aber in welche Richtung soll umgedacht werden? Antworten lassen sich nicht aus dem Ärmel schütteln, denn sie berühren auch grundsätzlich verschiedene Denkungsarten über Schule und Lernen, Bildung und Erziehung, Wissen und Begreifen, Pauken und Durchdringen.

Da sitzt plötztlich dieser alte Mann zwischen den Erstsemestern im germanistischen Seminar. Rentner, 68 Lebensjahre auf dem Buckel, Gasthörer; will "noch einmal die Schulbank drücken", will "noch einmal etwas ganz anderes lernen". Warum er sich ohne Not die Mühsal eines Studiums auflädt, fragen die Jungen. "Mir macht das Lernen Freude" erklärt der Alte, packt Block und Schreibstift aus, macht sich mit Eifer ans Werk. Keine Rede von "Wer rastet, der rostet". Dieser Senior studiert nicht, um sich fit zu halten, sondern er bereitet sich eine Freude: Lernen ist ihm ein besonderer (später) Lebensgenuss - geistige Fitness gibt es als Nebenprodukt gratis. Schwer zu begreifen für seine 40 oder 50 Jahre jüngeren Mitstudenten, die "fürs Leben lernen", sprich: zwecks Berufschancen sich aufs Examen vorbereiten müssen.

Kür und Pflicht

Ein (erlebtes) Beispiel, das zwei grundlegend verschiedene Verständnisse von Lernen offenbart. Hier Lernen als Freude stiftendes, weitergedacht: als Sinn stiftendes Tun; dort Lernen als zweckgerichtete Ausbildung. Hier freiwillige Kür, dort (überlebens-)notwendige Pflicht. "Halt!", rufen Pädagogen diverser Zeitalter dazwischen. "Sind wir nicht seit Jahr und Tag bemüht, diesen Graben zuzuschütten?! Besteht nicht von jeher unser Streben darin, Lernen zu einer spannenden Entdeckungsreise, Kenntnis- und Fertigkeitserwerb zu einem lustvollen Prozess zu machen?! Gilt uns nicht stets Erziehung als Weg hin zur human-sozialen Selbstbestimmung?!"

So ist es. Eine Vielzahl pä dagogischer Theoretiker und Praktiker dachten, schrieben und wirkten auf oft ganz verschiedene Weise in diesem Sinn - Humboldt, Pestalozzi, Kerschensteiner, Spranger, um nur einige der bekanntesten Namen aus dem deutschen Raum zu nennen. Jeder Lehrer weiß von ihnen und all den anderen Lern-/Erziehungs-Ansätzen, kommen sie von Rousseau, Don Bosco, Makarenkow, Montessori, Steiner oder aus Summerhill. Und doch: Mochte die Pädagogik auch in Theorie und diversen Versuchsprojekten die herrlichsten Höhen erklimmen, so behielt drunten im Alltags-Tal über Generationen jener berüchtigte Trichter die Vorherrschaft, mittels dessen des Lehrers Zeigefinger (oder Rohrstock oder Notenbuch) Fakten, Fakten, Fakten ins oft sperrig bleibende Hirn der Zöglinge presste.

Nix Trichter, nix Rohrstock - verwahren sich heutige Lehrer zu Recht. "Motivation" heißt der zentrale schulpraktische Grundsatz seit den 60er/70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Gemeint ist das Wecken der Schüler- Neugierde, das Entfachen der Lust auf Durchblick, Verstehen, Begreifen.

Alte Gewohnheiten

Somit wäre die human-be stimmte Pädagogik - wohl erstmals seit der Antike - endlich auf breiter Front im Alltag angelangt? Wenn, ja wenn die Motivation nicht stets auch erstes Opfer eben dieses Alltags würde. Die Lehrkraft sei in erster Linie Motivator, lautet die Forderung. Was aber, wenn dem Motivator selbst die Motivation abhanden kommt? Oder: Wenn er zwar die Neugierde der Schüler mit einer geschickten ersten Motivationsphase weckt, sie hernach aber doch wieder mit Fakten, Fakten, Fakten totschlägt?

Da landet manche als spannende Entdeckungsreise begonnene Unterrichtseinheit nur allzu bald in der Tristesse mehr oder minder hübsch verpackter Pauk- Stunden. Beispiele: Statt ausgiebig über Inhalt und Lebensbezug eines Gedichtes oder Romanes zu disputieren, statt den Seelenqualitäten einer Sinfonie nachzuspüren, gibt's akademische Formenanalyse bis zum Erbrechen. Statt die Wunder von Hebelgesetzen, schiefer Ebene, Wassersäule, Elektrizität ... am sinnlich erfahrbaren, "anschaulichen" Lebensbeispiel zu erforschen, zu erhellen, in Anwendung zu bringen, wird theoretisiert. Statt die Menschengeschichten hinter den Geschichtszahlen "auszugraben", wird Geschichte unter Faktenbergen begraben. Statt diesen Stoff mit jenem zu verbinden und das Verständnis fürs Netzwerk Welt zu schärfen, bleibt's beim in sich geschlossenen Fachunterricht.

Nicht an jeder Schule, nicht bei jedem Lehrer, nicht in jeder Unterrichtsstunde und selten in der zugespitzt dargestellten Form. Aber in der Tendenz offenbar doch auf breiter Front - womöglich aufgepeppt durch massiven Einsatz moderner Multimedia-Unterrichtsmittel. Aber wie sagte der Leiter eines Lehrerseminars: "Der Unterschied zwischen gutem und schlechtem Unterricht macht sich nicht an Schiefertafel oder Computer fest, sondern daran, ob es ihnen (den Lehrern) gelingt, die Schüler zu bewegen, dass sie das Thema selbst in die Hand nehmen und aus eigenem Antrieb durchwalken."

"Was gibt es?" "Wie geht das?" "Warum ist das so?" "Welche Konsequenz hat das für uns?" - vier Fragen, vier Erkenntnisschritte, auf die jeder gute TV-Produzent seine Natur-, Wissenschafts- oder Kultur-Sendungen aufbauen muss. Dann lassen sich Zuseher in beträchtlicher Zahl gewinnen und "binden". Der Erfolg solcher Sendungen beim Publikum rührt daher, dass sie die Lust an Welt-"Erfahrung", -Entdeckung, -Durchdringung ebenso ansprechen wie das Bedürfnis nach erinnernder und/oder historisch fortlaufender Zeitzeugenschaft, Nostalgie inklusive. Kaum ein Fernsehzuschauer kann aus den so gewonnen Erkenntnissen direkt "Nutzen ziehen". Und doch lernt er, für sich, sein Leben; und dieses Lernen bereitet ihm Freude: "Abenteuer Wissenschaft", ein Titel, der Programm sein kann, sein muss - fürs Lernen. Schule kann sogar noch einen Schritt weitergehen: Viele Entdeckungen, die dem passiv lernenden TV-Seher nur vorgeführt werden, können, sollen Schüler selbst machen. Und sie dürfen Spaß daran haben!

An den Ergebnissen der internationalen Schulstudie "Pisa" ist weniger erschreckend, dass Deutschland so weit hinten steht. Wer jetzt bloß über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit klagt, verkennt ebenso, worum es geht, wie derjenige, der vorrangig druckvollere Wissensvermittlung und effektivere Wissensüberprüfung fordert. "Pisa" offenbart viel eher ein grundlegend falsches Verständnis von Lernen in Deutschland: (Abfragbares) Wissen wird hier zu Lande höher bewertet als Durchdringen, Begreifen und Anwenden. Vielleicht ist Verständnis in diesem Zusammenhang das falsche Wort, denn zumindest jeder Lehrer hat gelernt (sollte gelernt haben), dass das eigentliche Schulziel das allgemeine Begreifen-Können selbstverantwortlicher Persönlichkeiten ist. Vernünftig strukturiertes Faktenwissen ist dabei unverzichtbares Hilfsmittel, mehr aber kaum.

Lehrer im Zentrum

Insofern steht (nicht nur) Deutschland, will es aus dem "Pisa"-Schock ernsthaft Konsequenzen ziehen, tatsächlich eine Art Kulturrevolution im Schulwesen bevor. Diese Neuordnung/Neuorientierung muss vorrangig von Lehrern und Erziehern getragen werden: Die revitalisieren, was sie einmal gelernt haben; die sich von beamteten Wissensvermittlern in Pädagogen rückverwandeln; die Klassenzimmertüren aufreißen, Hilfe, Rat, Kooperation, Teamgeist hereinlassen und hinausschicken. Und: Die als engagierte Pädagogen sich selbst ebenso wie der Politik und der Gesellschaft wieder und wieder vor Augen führen, dass es in der Schule eines demokratischen Gemeinwesens letztlich nur ein einziges wirkliches Erfolgsrezept geben kann: Lust und Freude am Lernen.

Andreas Pecht

Erstabdruck am 2. Januar 2002

Zum Jahreswechsel: Einige Betrachtungen über Auswirkungen der allgemeinen Internationalisierung auf die Sprachkultur

ape. Wie zu jedem Jahreswechsel an dieser Stelle: Nachdenken. Hier sind wir, wohin gehen wir? Ein vorerst wertfreier Befund: Im Zentrum der aktuellen Veränderung der Welt steht ein Epochen-Umbruch weg vom Nationalismus hin zu einer umfassenden Internationalisierung aller Lebensbereiche. Hinsichtlich der Sprache erzwingt die beobachtbare Zügigkeit dieses Prozesses die These: In längstens drei Generationen wird Englisch allgemeine Verkehrssprache sein.

Der TV-Reisende Gerd Ruge kauderwelscht im tiefsten Balkan mühselig mit zwei alten Leutchen. Die haben gerade ihre Kuh heimgetrieben. Hinzu tritt die Tochter der beiden. Zwischen der Bulgarin und dem deutschen Journalisten entspinnt sich eine fließende Unterhaltung - man spricht Englisch. Sie verkauft Holz nach Griechenland (also in die EU). Vermutlich sitzt die junge Frau tagsüber am Computer, prüft via Internet die globalen Holzmärkte, wickelt dann per Handy und E-Mail auf Englisch das Geschäft mit ihren EU-Kunden ab.

Die Situation ist symptomatisch für den Balkan, die Ökonomien der ehemaligen UdSSR, die dritte Welt: Vorindustrielle Subsistenz- neben Elementen globalisierter Gegenwarts-Wirtschaft. Erstere spricht in tausend Zungen, letztere Englisch - ob in Russland, China, Ghana oder Bolivien. Englisch ist bereits allgemeine Verkehrssprache der internationalen Wirtschaft und der Wissenschaft, ebenso der See-, Luft- und Weltraumfahrt, der Musik-, der Kino-, der Medienbranche. Und: Englisch ist die "Muttersprache" des Internets.

Richtung Weltsprache

EU-Beamte kommunizie ren in Brüssel englisch miteinander, wenn sie auf den Fluren oder beim Kaffee zu mehreren den kleinen Dienstweg beschreiten. Je größer die EU, umso stärker wird der Druck in Richtung einer gemeinsamen Verkehrssprache.

Die Tendenz zur Weltsprache wird von mehreren Seiten her verstärkt. Einmal quasi von oben: Die zunehmende Multinationalität der Konzerne erzwingt Englisch als Konzernsprache, die sich Zug um Zug von den Managementebenen nach unten ausbreitet. Ähnlich in der Wissenschaft: Wer mithalten will, muss dem englisch geführten internationalen Diskurs folgen.

Hinzu kommt die subkutane, die "schleichende" Ausbreitung des Englischen über die multimediale Alltagskultur. Auch wer nie Englisch- Unterricht hatte, verfügt heute über einen beträchtlichen (zumindest passiven) Englisch- Wortschatz. Die Vertreter der neuen Weltsprache verdrängen diejenigen der vorherigen europäischen Adels-, Bildungs- und Revolutionssprache Französisch: Portemonnaie, Kanapee oder Trottoir verschwinden aus dem Volksmund; der macht dafür eifrig von Airport, Business, Power, Show oder Shop Gebrauch.

Etwas völlig Neues ist der spachliche Paradigmenwechsel nicht. Englisch wird die dritte Generalsprache sein, die das Abendland nach Latein und Französisch annimmt. Von seinen beiden Vorfahren unterscheidet das Englische allerdings, dass es sich dabei erstmals um eine multinationale Volkssprache handelt. Neben die genannten wirtschaftlichen und kulturellen Trendverstärker tritt, dass inzwischen in den meisten entwickelten Ländern jeder Schulabgänger (Europa!) englische Sprachkenntnisse vorweisen kann.

Das Imperium Romanum brachte Latein als Herrschersprache über Europa, Kleinasien und Nordafrika. Nach dem Niedergang Roms sicherte das Christentum die Vormacht der Lingua Latina als europäische Elitesprache. Im Zeichen des Kreuzes redeten Kirchenmänner, Fürsten und Gelehrte für Jahrhunderte lateinisch miteinander.

Nach Reformation und Religionskriegen beendete das 18. Jahrhundert das lateinische Sprachmonopol vollends. An den Fürstenhöfen von Lissabon bis Moskau wurde der Glanz des französischen Hofes zum Trendsetter. Wer auf sich hielt, parlierte Französisch - und wer die Welt verändern wollte, tat's auch: Autokraten, Aufklärungsphilosophen und Revolutionäre redeten in gleicher Zunge über alle Grenzen hinweg (gegeneinander). Französisch war nahe dran, erste allgemeine Verkehrssprache Europas zu werden. Doch dieser Entwicklung kam die Herausbildung der Nationalstaaten und mit ihr die Zersetzung freiheitlichen Aufklärungsgeistes durch Nationalideologien in die Quere.

Moderne oder Steinzeit

Die Folgen sind bekannt: Der Nationalismus führte im 19. und 20. Jahrhundert zu den größten Völkergemetzeln der Geschichte; bis heute befeuern nationalistische und nationalreligiöse Stimmungen die meisten Kriege. Dem könnte die Globalisierung alsbald ein Ende machen (was nicht ihre schlechteste Seite wäre!), denn es steht inzwischen jedes Volk und jedes Land vor der Alternative: Einsteigen in die Internationalisierung - oder zurück in die Steinzeit!

Auslaufmodell Nationalstaat

Dieser Automatismus macht iranischen Mullahs, chinesischen Kommunisten oder balkanischen Despoten ebenso zu schaffen wie amerikanischen Werte-Fundamentalisten oder Deutschtümlern. Globaler Fluss von Kapital und Waren, multinationale Unternehmens-Zusammenschlüsse und Staatsverbünde werden flankiert durch den englischsprachig grundierten und damit nahezu allgemein verständlichen Fluss von Kultur, Informationen und Ideen. Damit entzieht die Globalisierung dem Nationalismus tendenziell seine Basis: "Unser" Geld, "unsere" Wirtschaft, "unsere" Wissenschaft, "unsere" Kultur, ja sogar "unsere" Politik - all das gibt es im globalen Dorf als national definierbare Größe immer weniger. Damit stellt die Globalisierung den Nationalstaat selbst als vorherrschende Organisationsform staatlicher Gemeinschaft in Frage.

Es gibt gute Gründe sich über diese Entwicklung sowohl zu freuen als auch zu entsetzten. Der Entwicklung selbst sind unsere Aufregungen freilich völlig gleichgültig. Sie gehorcht stur ureigenen Gesetzen - solange die Menschheit nicht als übereinstimmend vernünftig handelndes Subjekt den geschichtlichen Gang bestimmt. Dass derlei nirgends in Sicht ist, zeigt etwa der Blick auf die erbärmliche Unvernunft des jüngsten Klimagipfels oder die Wahnsinns-Ergebnisse "moderner" Landwirtschaft oder die Vermarktungs-orientierte Kurzsichtigkeit der Gen-Wissenschaft ...

So wird in Sachen Sprache die Entwicklung also höchstwahrscheinlich automatisch dahin treiben, dass in 40 bis 60 Jahren auch auf dem Gebiet des heutigen Deutschland die meisten Menschen englisch sprechen, denken, träumen. Dazu werden meine Enkel ebenso gehören wie die von Abdullah oder Ludmilla.

Was soll man nun davon halten? Für meinen Teil hoffe ich, die Enkel sprechen dann ein gutes, nuancenreiches, ausdrucksmächtiges Englisch, keine Werbe-Comic-Stümmelei. Sollten sie in der Lage sein, Goethes "Faust" außer in der englischen Übertragung auch im deutschen Original zu verstehen, würde mich das gewiss recht freuen.

Andreas Pecht

Erstabdruck 2. Januar 2001

Fünf große Gegenwartsthemen, die in der neuen Zeit Weltkultur und individuelle Lebensart gleichermaßen beeinflussen

ape. Uff, geschafft. Der Weltuntergang fiel aus, nicht das globale Datennetz. Seht, wir beherrschen, was wir erfunden; die Technikgemeinde trägt das Haupt erhoben. Das 00-Problem scheint erledigt, die übrigen bleiben uns erhalten.

Große Gegenwartsfragen sind überwiegend solche von unmittelbar globaler Bedeutung geworden. Welt-Fragen, die heute schon und in den kommenden Jahren immer stärker jedermanns Lebensart, die gesamte Kultur also, in bislang nicht gekannter Weise direkt beeinflussen werden. Die Diskussion um diese Fragen hat bereits im zurückliegenden Jahr Politik, Wirtschaft, Geistes- wie Naturwissenschaft und Kultur gleichermaßen erfasst. Sie wird, sie muß weiter gehen.

Globalisierung war der Zentralbegriff in 1999. Er bezeichnet die weltweite Computervernetzung ebenso wie den globalen Kapitalmarkt, den Warenmarkt und die in immer rascherem Tempo sich herausbildenden Planeten-umspannenden Konzerne. Globalisierung, ein ursprünglich trockenes Wirtschaftsthema, macht Karriere, ist während der letzten Monate selbst in die philosophischen Elfenbeintürme geflutet und hat die Feuilletons durchwuchert.

"Der Kapitalismus ist von der Kette" heißt es, er fresse nun seine Kinder und Geschwister: die Nationalstaaten, die Nationalkulturen, die parlamentarischen Demokratien, die bürgerliche Lebensform der Kleinfamilie. Denker aller Fakultäten kommen inzwischen zu dem Schluss: Man kann die Globalisierung nicht frei laufen lassen, denn das hitzige Spekulationsspiel mit vagabundierenden Giga-Kapitalien ist für die Gesamtgesellschaft ebenso gefährlich wie für die Marktwirtschaft das von ihr selbst hervorgebrachte Fusionsfieber.

Wirtschaftliche Machtballungen bilden sich international heraus, auf die national organisierte "kleine" Staatsgewalten kaum mehr Einfluss haben. Staatspolitik droht sich darin zu erschöpfen, globale Kapitalien mit lukrativen Bedingungen in die jeweils eigene Gemarkung zu locken. Die Diskussion um Begrenzung, Strukturierung, Abfederung, Lenkung dieser Gegenwartstendenz oder um grundsätzliche Alternativen dazu hat eben erst begonnen, und sie kennt kaum Tabus - was wenig erstaunt angesichts der Gefahr, die Menschheitsentwicklung vollends den bewusstlosen Automatismen der bloßen Geldvermehrung ausliefern zu müssen.

Das Weltklima hat sich hier zu Lande mit "Lo~thar" als schon brennende Gegenwartsproblematik in Erinnerung gebracht. Die lange vorhergesagten Veränderungen, sie haben unseren Alltag erreicht. Und: Es wird alles noch dicker kommen. Zug um Zug verursachen die ökologischen Probleme neben Einschränkungen des Wohlbefindens und Gefahren für Leib und Leben auch spürbare volkswirtschaftliche Kosten. Lothar kostet viele Millionen, El Nino und Schwester kosten Milliarden, die Folgen des Treibhauseffektes werden in nächster Zukunft unvorstellbar große Teile des Welt-Bruttosozialproduktes verschlingen. Soll man die ausgeben für immer wiederkehrende Katastrophenmaßnahmen und Aufräumarbeiten? Oder soll man heute die schwierige und kostspiele Aufgabe in Angriff nehmen, Ärgeres ursächlich zu vermeiden?

Die Bevölkerungsexplosion droht jeden Schritt in Richtung vernünftiger Zukunftsorganisation, so es ihn gibt, zunichte zu machen. Von Christi Geburt bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs die Menschheit geradezu gemächlich von 250 Millionen auf 1,6 Milliarden Köpfe. Von 1900 bis Ende 1999 explodierte sie auf 6 Milliarden und noch immer beschleunigt sich diese Entwicklung. Vielleicht ließen sich heute bei gerechter Verteilung der Reichtümer der Welt erträgliche Lebensbedingungen für alle Menschen eben noch erreichen. Doch schon in der nächsten Generation könnten 10 Milliarden den Planeten bevölkern: Damit zerplatzt dieser soziale Traum ebenso wie der gen-wissenschaftliche Wahn vom alle satt machenden Labor-Manna.

Es muß der Menschheit gelingen, in einer gewaltigen Gemeinschaftsanstrengung durch vielfältigste politische, soziale, aufklärerische Mittel das Bevölkerungswachstum noch in dieser Generation nachhaltig zu bremsen. Andernfalls wird des eben begonnene Jahrhundert zum Säkulum der Acker- und Wasserkriege, der Hungersnöte und faulenden Megastädte, der großen Völkerwanderungen Richtung Industrieländer.

Die Gentechnik kann Fluch und Segen zugleich sein. Sie verlangt vorderhand eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass in der bisherigen Menschheits-Geschichte stets auch gemacht wurde, was möglich ist. Lässt sich dieser Gesetzmäßigkeit Einhalt gebieten? Oder müssen wir uns damit abfinden, dass an den Grundbausteinen des Lebens mit jeder nur denkbaren - erwünschten oder unerwünschten - Zielrichtung herummanipuliert wird. Lassen sich ethische Grenzlinien ziehen, vernünftige Lenkungsmechanismen einrichten, oder müssen wir ohnmächtig zusehen, wie jedwede Gen-Erfindung mit Aussicht auf geldwerte Rentabilität realisiert wird?

Die Atomisierung der Gesellschaft geht weiter. Nachdem in der Epoche der industriellen Revolution die Großfamilie aufgelöst wurde, droht jetzt die Kleinfamilie Opfer des digital-globalen Zeitalters zu werden. Gesteigerte Flexibilität und Mobilität verlangt dieses von jedem: Ständig wechselnde Berufe, Arbeitsorte, Arbeitsplätze, Arbeitgeber und Entlohnungen, Regelarbeitszeiten nachts und an Wochenenden stehen zu erwarten. Wurzeln schlagen, Leben planen, ein Heim bauen, Familie pflegen - hat solche Lebensart da noch eine Chance? Sind alternative Lebens- und Wirtschaftsformen entwickelbar oder gehört die Zukunft dem allweil bindungslos durchs globale Dorf hetzenden Single?

Fünf aktuelle, die ganze Welt und jedes Individuum betreffende Großprobleme. Man kann, wie gehabt, die Dinge ihren Gang nehmen lassen und darauf hoffen, dass die Fragen von alleine auch ihre Antworten produzieren. Man kann aber auch versuchen, Zukunft mit Wille und Bewusstsein zu gestalten.

Andreas Pecht

Erstabdruck 2. Januar 2000

Das Millennium verlangt nach Visionen für die Zukunft: 1999 könnte zum Jahr der großen Grundsatzdebatten werden

ape. Der Silvesterkater ist vorüber - das Sinnen kann sich nach vorne wenden. Dort landet es übergangslos in den Vorbereitungen auf den nächsten, auf den allgewaltigen Jahreswechsel: das Millennium ruft. Neujahrsreden und -aufsätze deuten bereits darauf hin, daß 1999 das Jahr des großen Nachdenkens über das Woher und Wohin sein könnte.

Lessing erhob die großen Weltreligionen in den gleichen Rang, Schiller die Freiheit zum höchsten Gut. Und Beethoven erklärte in seiner 9. Sinfonie alle Menschen zur Gott-gewollten Bruderschaft. Einst hatten die Dichter Visionen und die Denker hatten sie auch. Heutzutage, wo die Welt fortwährend in nie gekanntem Tempo umgekrempelt wird, scheinen der Kunst wie der Geisteswelt die Visionen abhanden gekommen.

Pragmatismus nennt sich, was das Denken und Handeln im Vorfeld der Jahrtausendwende prägt. Pragmatisch ist der, dessen Tun sich auf praktischen Nutzen ausrichtet. Das schließt in unseren Tagen allenthalben die Konzentration aufs Machbare ein. Der moderne Mensch hat pragmatischer Realist zu sein, der moderne Politiker sowieso.

Ungewisse neue Zeit

Jede andere Art der Weltbetrachtung landet auf jener Wiese, wo Esoterik, Feierabend-Utopismus und Gefühlsentertainment spielen. Die Frage "wo w o l l e n wir hin?" gilt zwar als interessant, gut gemeint - aber irrelevant. Ernstgenommen wird allein noch die Frage "wo m ü s s en wir hin?". Und wie stellen wir's an, beim Wettlauf in die neue Zeit stets unter den Erstplazierten zu sein?

Doch keiner weiß, wohin das Gerenne eigentlich führt, führen soll. Ins "globale Dorf" - was immer das sein mag. In die Kommunikations-Gesellschaft - worüber auch immer die geschwind auf allen Kanälen kommunizieren mag. In die Wissens-Gesellschaft - welche Inhalte und Fertigkeiten deren Mitglieder auch immer zu welchem Zweck lebenslang bimsen sollen. Man rennt mit, weil man - bei Strafe des Untergangs - mitrennen muß. Die Welt dreht sich hastig im Selbstlauf und ein jeder sieht, wo er eben bleibt.

Die Kunst immerhin knurrt das ohnmächtige Gerenne an: die Klassiker mahnen wie eh und je, doch will sie kaum einer als Fingerzeig aufs Gegenwärtige verstehen. Die Modernen machen gelegentlich, wie derzeit etwa das junge britische Theater wieder, Agonien im menschlichen Zusammenleben ätzend-giftig bewußt. Daneben bieten Kunst und Kultur Ruhe-Inseln für die Abgehetzten: Von hoher Ästhetik über schönen Schein bis zum rauschhaftem Amüsier-Event. Das kann besinnlich sein, führt indes selten zu Besinnung, nie zu Besonnenheit oder Sinn. Vor wirklichen Visionen - des Herzens oder des Geistes - scheinen sich auch die Künstler unserer Tage geradeweg zu fürchten. Wie gebrannte Kinder benehmen sich manche, vielleicht, weil sie vor Jahr und Tag noch einem mißratenen Sozialismus auf den Leim krochen.

Gefängnis des Pragmatismus

Wenn die Kunst schon keine Visionen mehr hat, wie soll man sie dann von der im Denk-Gefängnis des Pragmatismus einsitzenden Politik verlangen? Das Jahrtausend neigt sich dem Ende zu, und für alle großen Fragen ist nach wie vor keine Lösung zu erkennen. Die soziale Frage ist offen wie lange nicht; die Überbevölkerungsfrage ungelöst; das "globale Dorf" hat keinen Gemeinderat, es gilt das Recht des Stärkeren; der Wald stirbt weiter und das Ozonloch wächst, auch wenn niemand mehr darüber spricht; die alten Gesellschaften und ihre Werte zerfallen, ohne daß Ersatz in Sicht wäre; der Weltfriede ist genauso fern wie die Gleichberechtigung von nördlicher und südlicher Hemisphäre . . .

Der Jahrhundert-Probleme sind viele, doch es scheint nur diesen einen alles überwuchernden Ansatz zu geben: Fit machen für den globalen Wettbewerb. Eine armselige "Vision", der nur das Streben nach bester Armierung für einen Streit jeder gegen jeden einfällt. Für einen Streit, der heute diesen, morgen jenen Verlierer in Not stürzt. Doch wenn 1999 ein Jahr der großen Diskussionen wird, besteht vielleicht auch die Chance auf ein Kopfzerbrechen über Wege heraus aus solcher Tristesse. Dann erst wäre auch die dickste Fete gerechtfertigt.

Andreas Pecht

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