Die Kunst des Geblubbers

Quergedanken Nr. 88

Kompetent, führungsstark, überzeugend, obendrein authentisch, menschlich, sympathisch: So werden heute Heldenfiguren im Theater namens Politik definiert. Problem: Alle wollen nur derartige Rollen spielen, keiner mag den Verzweifelten, Bösewicht oder Deppen geben. Ergebnis: Sämtliche Mitspieler drängeln an der Bühnenrampe herum, um bella figura zu mimen und sich gegenseitig auszustechen. Im wirklichen Theater wäre das Publikum davon zu Tode gelangweilt, in der echten Politik – ist es genauso. Nur merken es die Akteure dort nicht; oder sie merken es, können aber nicht aus ihrer Haut.

Politiker sind schlechte Schauspieler. Was niemanden stören würde, ließen sie die Finger vom Theater. Tun sie aber nicht, machen stattdessen aus jedem öffentlichen Schritt einen „Auftritt“. Weil sie aber die Kunst nicht beherrschen, in inszenierter Darstellung echt zu wirken, bleibt es beim bemüht künstlichen Mummenschanz. Durchbricht mal einer die Dauerinszenierung, ist das eine Sensation; jüngst erlebt bei Seehofers zufälligem Postinterview-Geplauder mit ZDF-Kleber. Des Bayern Suada kam als versehentlicher Moment von Echtheit bestens an.

Seitdem tüfteln Scharen von Parteistrategen an Möglichkeiten, wie man solche Ausrutscher gezielt konstruieren könnte. Dass es die beste Strategie überhaupt wäre, einfach das inszenierte Schöngetue, Allwissenheitsgehabe und selbstgerechte bis selbstverliebte Standard-Geblubber aus dem Politbetrieb rauszunehmen, auf diese Idee kommen sie nicht. Das Bemühen, allweil bella figura zu machen, droht Politik in eine Kategorie der Werbung zu verwandeln. Was bedauerlich ist. Denn abseits der Öffentlichkeit erweisen sich Minister/innen, Staatssekretäre/innen, Bürgermeister/innen  bisweilen als nachdenkliche, gar an sich zweifelnde und gerade deshalb kluge Köpfe. Taucht aber eine Kamera auf, werden sie sogleich wieder zu (schlechten) Schauspielern.

Ich frage mich oft: Für wie blöd mögen die uns halten? Glauben die wirklich, wir könnten X nicht von U unterscheiden, gespielte Sorge nicht von echter, Wahltaktik nicht von Überzeugung oder Eitelkeit nicht von Selbstbewusstsein?  Der dümmste Fehler, den Politiker machen können, ist, das Volk für dumm zu halten. Röttgen meinte, die Leute merken nicht, dass ihm vor allem die Karriere am Herzen liegt. Merkel meinte, die Leute merken nicht, dass sie diese Schwäche eiskalt ausnutzt, um den ihr unliebsamen Gesellen abzuservieren.

Die ganze Politkaste meint, die Leute merken nicht, dass ihre Rezepte gegen die Euro-Krise auch nur Geblubber sind. Griechenland und Co. müssten wettbewerbsfähig werden und Wachstum generieren, heißt es. „Ha, ha, ha!“, schüttet sich Freund Walter aus. „Da würde der Exportriese Deutschland schön blöd gucken, wenn ihm auf dem ohnehin überfüllten Weltmarkt auch noch starke Griechen, Italiener, Spanier in die Quere kämen. Gleich ging hier das Geschrei wieder los, die Deutschen müssen noch besser, schneller, billiger arbeiten.“

„Wettbewerbsfähigkeit“ ist eben kein Heilmittel, sondern bloß chaotischer Verschiebebahnhof für Krisen. Und wer meint, dieser Braten systemischer Perspektivlosigkeit wäre nicht zu riechen, der irrt. So wie Netz-Blubberer Zuckerberg irrt, wenn er meint, die Leute würden den Börsengang seiner Facebook-Firma dauerhaft willig mit der Zustimmung zur perfiden Totalvermarktung ihrer Privatsphäre bezahlen.    

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website Woche 22 im Mai/Juni 2012)

 

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