Arp Museum zeigt Kinderleben in der Kunst
Ausstellung "Menschenskinder" - Vom Mittelalter bis heute
ape. Remagen-Rolandseck. Dass die neue und jetzt zehnte Ausstellung in der Kunstkammer Rau des Arp Museums Remagen-Rolandseck von derart aktueller Brisanz sein würde, hatte bei ihrer Konzipierung Monate zuvor niemand geahnt. Natürlich waren und sind Kinderschicksale immer ein großes Thema, nicht zuletzt in der Kunst. Angesicht des hohen Anteils von Kindern unter den unzähligen Flüchtlingen, die derzeit aus Afrika, dem Nahen Osten und von anderswo nach Europa ziehen, gewinnt die Schau „Menschenskinder. Kinderleben zwischen Wunsch und Wirklichkeit” zusätzlich enormes Gewicht.
31 Werken aus der dem Museum als Dauerleihgabe anvertrauten Kunstsammlung Rau für UNICEF sind 33 Gegenwartsfotografien der internationalen Wettbewerbe „Unicef-Foto des Jahres” zur Seite gestellt. So treten künstlerische Kinderansichten aus fünf Jahrhunderten in Korrespondenz zu heutigen Schicksalen der Jüngsten. Offenbar werden teils schroffe Unterschiede. Erstaunlicher aber sind zugleich viele über Jahrhunderte hinweg reichende Gemeinsamkeiten.
Etwa der Umstand, dass der Gang der Geschichte die Kinder stets am intensivsten trifft. Oder die Neigung der Erwachsenenkulturen, ihren Nachwuchs zu drangasalieren mit dem Hineinpressen in zeit- oder klassentypische Klischees, Rollen- und Karrierevorstellungen. Oder das wiederkehrende Motiv vom Ideal allzeit unverbrüchlicher Mutterliebe im Guten wie im Schlechten. Schließlich das Wunder, dass Kinder selbst unter unwirtlichsten Verhältnissen vom Spielen und Träumen nicht lassen können/wollen.
Hinter jedem der Wettbewerbsfotos steckt eine reale Geschichte. Hier das Paar, das mit seinen beiden Kindern aus der Trümmerwüste des syrischen Aleppo flüchtet. Da die ärmliche Philippinin mit ihrem weißhäutigen Kind auf dem Schoß, das ohne Vater und als geächteter Sonderling aufwachsen muss. Dort auf einer Müllkippe in Honduras fürs nackte Überleben schuftende Kinder. Solche zu Bildmomenten geronnene Lebensschicksale von heute sind jeweils Klassikern der Bildenden Kunst zugeordnet. Hier Stanislas Lépines Gemälde aus dem 19. Jahrhundert von der Frau, die mit ihrem Kind durch eine heruntergekommene Nebengasse im Montmartre geht. Da eine Madonna mit Kind von Antonio Solario aus dem 16. Jahrhundert. Dort die barmenden „Geflügelverkäufer” von Jean Michelin aus dem 17. Jahrhundert: Ein Elternpaar mit drei in Lumpen steckenden Kindern, das auf Käufer für zwei armselige Hühner hofft.
Historisch erhellt die Schau zudem die Bindung der künstlerischen Kinderdarstellung an den allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt, oft auch Rückschritt. Beschränkte sich die Mittelalterkunst fast ausschließlich auf Jesuskinder und Engelchen, richtete sich am Übergang zur Neuzeit der Blick zusehends auf Archetypen weltlicher Kinder, hielt bald mit der Ausbreitung des Humanismus kindliche Individualität Einzug in die Kunst. In Anlehnung an das Menschen- und Erziehungsbild Rousseaus finden sich dann ab der Frühromantik mannigfach Abbilde zärtlicher Mütter mit glücklichen Kindern etwa von Lemoine, Cassatt oder Denise.
Doch macht die Ausstellung zugleich eine düstere Entwicklunglinie deutlich, die sich auch in der bildlichen Kinderdarstellung fast ungebrochen vom Spätmittelalter bis in die Moderne zieht: das Kind als Objekt übergeordneter Interessen. Gemälde von Adelsbuben in vollem Offiziersputz unterstreichen deren Status als Herrschaftserbe. Adlige oder nachher großbürgerliche Jungfrauen werden in oft geschönten Porträts abgebildet, die ihren Wert auf dem Heiratsmarkt steigern sollen.
Im Arp Museum stehen dem aktuelle Fotos und Geschichten von zwangsverheirateten Mädchen in der Dritten Welt gegenüber. Nicht minder erschütternd sind die Bilder von noch jüngeren US-amerikanischen Mädchen, die als zuckersüße Minidiven herausgeputzt sind oder mit dem pinkfarbenem aber funktionstüchtigen Kleinkalibergewehr posieren, das ihnen zum Schulanfang überreicht wurde. Schließlich in kalte Trostlosigkeit gestürzt, jene osteuropäischen Mädchen im frühpubertären Alter, die eigene Hoffnungen und/oder der Ehrgeiz der Mütter in die Mühlen von Schönheits- und Superstarwettbewerben getrieben hat.
In lichtem Kontrast dazu stehen wiederum Bildnisse von Kindern, die sich Lebensfreude und Träume nicht haben nehmen lassen oder wieder errungen haben. August Mackes „Clown im grünen Kostüm” (1912) korrespondiert beispielsweise mit Chris de Bodes Foto (2012) von einem Mädchen in Haiti, das seit dem Erdbeben 2010 davon träumt, Clown zu werden – und mit spontanen Vorstellungen in Armenvierteln einfach mal begonnen hat.
Andreas Pecht