Demonstrieren UND wählen? Passt!
Quergedanken Nr. 170
Am 26. Mai steht uns ja ein kollektiver Sonntagsausflug ins Haus. Zwar wird in den Einkehrlokalen das Angebot etwas spartanisch ausfallen – es stehen nur Papier und Schreibstift auf der Karte. Doch bleibt den Rheinland-Pfälzern als Trost: Uns wird, im Verhältnis zu manch anderem Bundesland, die doppelte Menge Papier serviert. Kurzum: Der 26. Mai ist ein Wahl-Sonntag; hierzulande sogar ein Doppelwahl-Sonntag. Ergo: Trotz mäßigen Angebots in den Lokalen ist ein jeder aufgerufen, sie heimzusuchen und seine Kreuzchen zu machen. Also rafft euch auf, ihr Frauenzimmer und Mannen! Wählt das europäische Parlament, wählt auch die Parlamente eurer Städte und Dörfer – aber wählt kein braunes Gesocks!
Freund Walters Begeisterung ob der Wählerei hält sich mal wieder in Grenzen. Die werte Leserschaft mag sich erinnern: Bei der Bundestagswahl hatte ich ihn nur mit Mühe überzeugen können, seine Jahrzehnte währende Wahlverweigerung aufzugeben. Mein schließlich durchschlagendes Argument war seinerzeit: Alle Stimmen, die Leute wie du nicht abgeben, kommen am Ende den nationalistischen Reaktionären zugute. Das saß. Walter ließ sich erweichen: „OK, ich geh kreuzeln. Auch wenn ich mir nachher gewiss in den Hintern beiße. Weil doch wieder bloß eine Politik herauskommt, die nach noch mehr Wirtschaftswachstums schreit sowie den Bückling vor Finanz- und Industriekapital macht.“ So sprach der Freund. Auf dem Weg ins Wahllokal brummelte er damals: „Wenn aber die Braunen drankommen, dann dürfen wir dagegen nichtmal mehr demonstrieren.“
Diesmal lässt Walter sich relativ schnell zum Wählen bewegen. Allerdings schlägt er mit spitzbübischem Grinsen einen Handel vor. Er gehe mit mir am 26. Mai zur Wahl, dafür solle ich ihn zuvor am 18. Mai zu einer Koblenzer Demonstration begleiten, die unter dem Motto steht „Zukunft! Für unser Klima, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit! Gegen das Nichtstun der Politik!“ Worauf sich ein, sagen wir mal: lebhafter Disput entwickelte über den Zusammenhang zwischen wählen und demonstrieren, der sich rasch um die Wechselwirkung zwischen regieren und demonstrieren drehte.
Es sei kein Hehl daraus gemacht, dass wir beide das couragierte Aufbegehren unserer Jüngsten im Zuge der Bewegung Fridays for Fu ture mit großer Sympathie begleiten. Ich mehr aus Freude, dass eine bereits an die Konsumreligion verloren geglaubte Generation plötzlich hellwach und renitent die Straße betritt. Walter eher aus Gefallen daran, wie diese jungen Leute Leben in die verpennte Politbude bringen und das Establishment reihum in Panik versetzen – mit ihrem unnachgiebigen Verlangen, die Politik müsse endlich in die Tat umsetzen, was sie im Pariser Klimaabkommen versprochen habe.
„Siehst du“, meint Walter, „das kann vielleicht funktionieren: Einigermaßen vernünftig wählen und zugleich von unten Druck machen. Auf dass die gewählten Herrschaften nachher nicht wieder einschlafen oder nach oben katzbuckeln, sondern stets mit der Nase auf das gestaucht werden, was für die nahe und fernere Zukunft wirklich wichtig ist.“ Der Handel gilt: Wir gehen beide wählen und gehen beide zur Demo. Zugegeben, von letzterem war ich nicht schwer zu überzeugen, kommt doch im Demo-Motto zusammen, was zusammen gehört – die Forderung nach einer ökologischen Wende und diejenige nach einer sozialen Wende. Also Leute, der Mai ist gekommen: Arsch huh, Zäng ussenander!