Siegeszug der Zukunftsschrift
Ausstellung zur Type "Futura" in Mainz
ape/Mainz. Über den Sommer 2016 hatte das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst mit seiner Ausstellung „Alles neu!” Entwicklungen von Typografie und Grafik der zurückliegenden 100 Jahre in den Blick genommen. Nebenan in Mainz greift jetzt das Gutenberg-Museum eine einzige Schriftart heraus und widmet ihr die erste monothematische Schau in Deutschland. Die Type heißt Futura, die Zukünftige, und wird dieser Tage 90 Jahre alt.
Vom Maler und Typografen Paul Renner entwickelt, wurde die Futura 1927 in Frankfurt veröffentlicht und fand von dort aus rasch weltweite Verbreitung. Die Sonderpräsentation „Futura. Die Schrift” im Untergeschoss des Gutenberg-Museums startet mit einer Übersicht über die groß- und kleingeschriebenen Buchstaben dieser Type aus der Familie der sogenannten Groteskschriften. Was den Betrachter gleich in die Frage stürzt: Was ist daran derart besonders, dass in den späten 1920ern die ganze Druck- und Grafikszene vor Aufregung vibrierte?
Von heute aus ist schwer nachvollziehbar, welch radikalen Eingriff in die bis dahin gewohnte Ästhetik der alten Frakturschriften diese streng geometrisch konstruierte, völlig schnörkellose, jedwede Auf- und Abstriche meidende neue Schrift darstellte. Denn für unsereins gehört die Futura zu den kaum mehr bemerkten Selbstverständlichkeiten – seit sie und ihre Ableger im Verlauf des 20. Jahrhunderts dominant wurden in Werbung, Magazingestaltung oder Zeitungsüberschriften, in Firmenlogos, Straßenschildern oder auf Plakaten, Buchdeckeln, ja selbst bei Amtsformularen.
Zu Anfang jedoch war die Futura typografisch ein ähnlich dramatischer Kontrast zum Gewohnten wie architektonisch das Bauhaus etwa zu Gründerzeit- und Jugendstil. Nicht zufällig wurden damals Publikationen über moderne Architektur und Kunst bald überwiegend in dieser Zukunftsschrift abgefasst. Wie die Mainzer Ausstellung dokumentiert, mochten nachher selbst die Nationalsozialisten auf das kristallklare Bild der Type nicht verzichten und postulierten 1942 für das gesamte Reich die Abwendung von der Fraktur- und Hinwendung zur Futura-Schrift. Gleichwohl verfolgten sie deren Erfinder, den liberalen Nazigegner Paul Renner und sperrten ihn schließlich ein.
Die Ausstellung schreitet in mehreren Stationen mit rund 300 Exponaten vor allem die Verbreitungsgeschichte der Futura ab. Beginnend natürlich in Frankfurt, jener Stadt, die sich in 1920ern quasi neu erfinden wollte und neben zahlreichen modernen Bauprojekten auch etwas bis dahin völlig Unbekanntes in Auftrag gab: eine zukunftsweisende Corporate Idendity, ein einheitliches Erscheinungsbild aller städtischen Drucksachen vom Stadtführer übers Theaterprogramm bis zum Bußgeldbescheid via Futura-Schrift.
Der Rundgang führt zu ähnlichen Aufträgen für den Künstler Kurt Schwitters seitens der Städte Hannover und Karlsruhe. Unterwegs in die Abteilungen Berlin, München, Prag, Wien, Paris, New York stoßen wir auf Firmenprospekte, Markennamen, Werbeanzeigen im Futura-Design: Opel, VW, Persil, Reemtsma, die Deutsche Bahn und viele mehr hatten sich im 20. Jahrhundert die zeitlos moderne Ästhetik dieser Schrift zueigen gemacht und nutzen sie teils noch immer. Regisseur Stanley Kubrick liebte die Type und setzte sie in zahlreichen seiner Filme für Titel, Vorspann, Plakate ein. Und schließlich war Futura 1969 bei der ersten Mondlandung dabei: Die von der Apollo-11-Mission auf dem Erdtrabanten hinterlassene Plakette kündet in dieser Schrift von friedlichen Absichten.
„Futura. Die Schrift” ist eine jener Ausstellungen, auf die man sich einlassen muss. Denn es gibt keine Großexponate, die den Besucher per se in den Bann ziehen. Zeitschriften, Bücher, Prospekte, Plakate, Schriftmuster, fliegende Blätter oder Visitenkarten werden erst bei näherer Betrachtung Teil der erhellenden, hochinteressanten Erzählung über das Besondere einer uns selbstverständlichen Alltäglichkeit. Andreas Pecht