Urvertrauen im brodelnden "Magma"

Kritik der Uraufführung bei tanzmainz

ape/Mainz. „Magma” ist die erste Tanz-Produktion der neuen Spielzeit am Staatstheater Mainz summarisch überschrieben. Dies Bild vom glutflüssigen Gestein, das feurig brodelnd aus tiefem Untergrund an die Oberfläche drängt und sich unaufhaltsam über die Welt verströmt, passt trefflich zu den beiden Uraufführungen des 100-minütigen Abends.

Dennoch sind „Fieber” von Alessandra Corti sowie das bei der Premiere mit spontanen Jubelovationen bedachte Stück „Fall seven times” von Maria Campos und Guy Nader zwei grundverschiedene Choreografien.

Obwohl bar einer durchgängigen Handlung, kann „Fieber” als Konglomerat vieler Minierzählungen verstanden werden. Als sei's irgendein Platz in irgendeiner heutigen Stadt, kommen auf leerer Bühne vier Frauen und zwei Männer zusammen. Eine Zufallsbegegnung unterschiedlichster Menschen, die nun in mannigfach unterschiedliche Beziehungen zueinander treten. In deren Verlauf fallen Alltagshüllen, kommen unter Mänteln, Kappen, Kleidern ungeschützte Leiber, Begierden, Träume zum Vorschein.

Leitmotivisch vorangestellt ist der Text „Was ich glaube” von J.G. Ballard. Dieses Bekenntnis glaubt allerdings an alles und nichts; an Lügen ebenso wie an das Geheimnis von Parkhäusern, an den Irrsinn der Blumen wie an die Genitalien großartiger Männer und Frauen. Das Prinzip der Beliebigkeit scheint sich im Tanzgeschehen zu spiegeln – erfährt dort allerdings bald eine Ordnung aus immer wieder einander deckenden oder widersprechenden Individualbedürfnissen: Einsamkeit versus Zweisamkeit versus Dasein in der Gruppe; jede Form mal erlebbar als Freud, mal als Leid, schlussendlich mündend als ewiger Dauerlauf aller im Hamsterrad des modernen Seins.

Bleibt „Fieber” über weite Strecken eine tänzerisch reduzierte, auf inhaltsschwangere Symbolszenen konzentrierte Arbeit, so ist „Fall seven times” das schiere Gegenteil: reines, hinreißendes Formballett moderner Art – auf den ersten Blick hart an der Grenze zur zirzenischen Akrobatik, auf den zweiten gleichwohl von anrührender Beseeltheit. Die Choreografie bezieht sich auf das asiatische Sprichwort „Wenn du sieben Mal fällst, stehe acht Mal wieder auf.” Sich ungehemmt fallen lassen im Vertrauen auf das Auffangen durch die Mittänzer ist ihr Kernelemente.

Wie dieses Prinzip in ungeheuer dichtem, schnellem, vielgestaltigem Strömen von elf Akteuren zur Minimalmusic von Miguel Marin über die Bühne brodelt, solches hat man in Mainz und ringsumher lange nicht gesehen. Wer fällt, wer fängt? Wer ist Heber, wer Gehobener? Wessen Rücken dient als Sprungbrett, wessen Schenkel sind Drehachse, welche Arme vereinen sich zum Katapult, welche Körper sichern die Landung der Geschleuderten? Das alles fließt ineinander, ergibt sich auseinander. Jede Frau, jeder Mann wechselt von einer Sekunde zur anderen die Funktion, muss eben verlässlich zupacken, gleich drauf im Urvertrauen auf die Verlässlichkeit der Kollegen/Freunde sich hingeben.

Das ist höchste Präzision und doch von scheinbar größter Leichtigkeit. Noch den wildesten Furor durchtränkt eine natürlich-verspielte, ja zärtliche Art des Miteinanders. Eine bemerkenswerte Arbeit der Gastchoreografen Campos/Nader, eine fulminante Leistung der Compagnie von tanzmainz – und ein Stück, das sich Ballettfreunde in der Region nicht entgehen lassen sollten. Andreas Pecht

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