Kunde König mit Narrenkappe

Quergedanken Nr. 51

 „Wo ist mein Kaffee?!“ „Wer hat mein Waschpulver verschwinden lassen?!“ Wenn Sie, werte/r Leser/in, alle paar Monate solche Rufe durch einen mittelrheinischen Supermarkt dröhnen hören, könnte da mein Freund Walter am Werk sein. Walter ist ein überaus treuer Kunde, kauft seit ewigen Zeiten im selben Laden ein. Er kennt die Lebensgeschichten des Personals, kann den wechselnden Filialleitern Auskunft geben über Aussehen und Sortiment ihres Geschäftes vor 10, 15 oder 20 Jahren. Was seine Treue indes regelmäßig auf eine harte Probe stellt, ist die Unsitte des Handels, allweil die Regale umzuräumen. Wo gestern noch Klopapier und Taschentücher lagen, stehen heute saure Gurken und Dosenfisch. Einkaufen wird dann mühselige Sucherei – was Walter auf die Palme bringt und in aller Supermarktöffentlichkeit die Contenance verlieren lässt.

Selbstredend hat die Umräumerei mit Kundenfreundlichkeit gar nichts zu tun. Die Händler glauben: Bei suchenden Kunden erhöhe sich die Verweildauer im Markt, was automatisch Umsatzsteigerungen zur Folge habe. Herrschaften, wenn das mal kein Trugschluss ist! Zumindest Walter und ich sind vom Psycho-Marketing oft derart entnervt, dass wir den Laden durchaus auch mal mit leeren Händen verlassen. Überhaupt diese Vorstellung, verärgerte Leute könnten mehr kaufen. Das ist so absurd wie die Außenwerbung in den Einkaufszentren etwa die B9 entlang von Koblenz nach Neuwied. Fehlt nicht mehr viel, und die Firmenschilder sind dort größer als die Firmenniederlassungen selbst.

Wer hat den Größten? Media-Markt macht auf dick, IKEA  reckt sich protzend 'gen Himmel. In den Gewerbegebieten Mülheim-Kärlich oder Distelfeld verlierst du im Schilder-, Transparent-  und Fahnenwald gleich vollends den Überblick. Hängt einer drei Fahnen zum zwei Quadratmeter großen Schild vor die Tür, legt der Nachbar gewiss mit sechs Fahnen und einem vier Quadrameter-Transparent nach. Das ist ein sich aufschaukelnder Prozess, der in der Masse den vom einzelnen Geschäft angestrebten Werbeeffekt schlechterdings platthaut:  Eine Kakophonie optischen Geschreis, die, verehrte Händler und Marketingspezialisten, Eure Kunden schließlich erblinden und ertauben lässt. Von der gefährlichen Desorientierung suchender Autofahrer in den Gewerbegebieten ganz abgesehen.

Die neue Verpackungsordnung ist auch so ein Ding. Schokolade zu 78 Gramm, Butter zu 224 und die Milch im 0,8 Liter-Pack; fortan frei nach Gusto der Hersteller. Damit könne besser auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden eingegangen werden, säuseln die Verbandssprecher. Verarschen können wir uns selber. Habt Ihr nicht unlängst das Viertel Butter und die Halbe-Liter-Milchtüte aus den Kühlungen genommen, zwecks wohlfeilem Verkauf größerer Einheiten? Wart Ihr es nicht, die Gummibärchen- und Chipstüten oder Limonadeflaschen zu Monstergrößen aufgeblasen haben? Was war da mit „individuellen Bedürfnissen“? Kundenfreundlichkeit, pah! Wir dürfen nun außer Einkaufszettel, Korb und Geldbeutel auch noch den Taschenrechner mit in den Laden nehmen, um herauszufinden, was was wirklich kostet.

So artet das Einkaufen in Arbeit aus. Aber das kennen wir ja schon lange: Selbstbedienung heißt das Zauberwort, das Kunden zu fleißigen Mitarbeitern der Märkte macht. Man muss schon ziemlich alt sein, um zu erinnern, dass es auch anders geht. Es ist wie mit den Bahnhöfen in Deutschland: Einst gab es sie überall als vollwertige Servicestationen mit Kiosk, Wartesaal, WC und lebendigen Menschen hinterm Schalter. Geblieben sind in der Fläche allenfalls zugige Wartehäuschen mit gelegentlich funktionierenden Ticket-Automaten. Während die Hauptbahnhöfe zu Gastro- und Shoppingzentren mutierten, in denen Fahrgäste an vielen Automaten dem schwindenden Bahnpersonal die Arbeit wegnehmen (müssen).    

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