Faule Eier und fliegende Schuhe

Quergedanken Nr. 48

Es ist ja nicht so, dass ich dagegen wäre. Man kann schließlich für etwas sein, in einzelnen Punkten aber doch Bedenken haben. Neulich wurde ich als Gegner von Steuersenkungen abgestempelt. Wie das? Ich hatte Obama  – den Messias von Neuamerika – für sein Konjunkturprogramm gelobt. Weil er das Geld der Folgegeneration für Dinge ausgeben will, von denen die Kinder auch noch was haben: Schulen, Gesundheitswesen, Energiewende, Verkehrs-Infrastruktur etc. Dies schien mir vernünftiger als die Losung unsrer Regierung: Kaufkraftstärkung und Förderung von allem, das irgendwie Jobs erhält. Daraus wurde mir ein Strick gedreht: Gleichgültigkeit gegenüber dem Proletariat.

Und das mir! Freund Walter gackert: „Passiert doch einem Kulturkritiker alle Tage.“ Stimmt auch wieder. Man denke nur ans Theater: Ein paar kritische Sätze, gleich heißt es, „der Kerl macht unser Theater schlecht“. Dabei gehen Kritiken nie gegen ein Theater an sich, sondern  höchstens gegen das, was in Mainz, Koblenz oder sonstwo manchmal darin fabriziert wird. Selbst wenn das gehäuft  Käse wäre, würde kein Kritiker je fordern, das Theater zuzusperren. Hilft nichts: Getroffene Künstler und etliche Lokalpatrioten sind festen Glaubens, Kritiker schmissen aus purer Bosheit (verbal) mit Schuhen.

A propos. Seit jener irakische Journalist dem George W. seine Treter vor den Latz knallte, gehört ein Zweitpaar zur Demonstranten-Grundausstattung wie anno dunnemals faule Eier und Tomaten. Walter trägt nun stets ein Paar alte Latschen im Sackerl mit sich: „Man weiß nie, wer einem begegnet.“  Treue Leser dieser Kolumne wissen, Walter ist nicht nur eine Knodderbux (= mittelrheinische Koseform für Meckerfritze), sondern auch ein gescheites Kerlchen. Er kann Dinge, von denen ich so wenig verstehe wie mancher Gemeinderat. Walter kann zum Beispiel Baubeschreibungen lesen. Mit Vorliebe jene, die gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind. Und zwar so gut, dass ihm nach Lektüre des Fachchinesisch quasi vor Augen steht, wie geplante Gebäude funktionieren könnten - oder auch nicht.

Lange vor dem ersten Spatenstich fürs Arp-Museum in Rolandseck wusste er, dass das ein fesches Ensemble wird, aber auch Tücken haben würde. Etwa den gläserne Aufzug, der an Sonnentagen problemlos als Sauna genutzt werden könne. Wie von Walter vorhergesagt, so ist es jetzt. Weshalb ich ernst nehme, was ihm entfleucht, da er über der Baubeschreibung für den kommenden Kulturbau auf dem Koblenzer Zentralplatz brütet.

„War da nicht mal die Rede von Spezialglas mit Klima-Effekt, von einer matt-getriebenen Fassade?“, brummelt er. „Find ich nicht. Ich seh nur Normverglasung, werd schon beim Lesen blind vor lauter Sonne und matt von der Innen-Hitze.“ Ein offenes Atrium fünf Stockwerke hoch, kein Niedrigenergie-Standard, konventionelles Heizsystem. „Entweder ist die  Baubeschreibung ein Fake oder ...“, Walter tippt sich an die Stirn: „Nach diesem Plan müssten die im Sommer kühlen und im Winter heizen, dass es kracht.“ Das Fahrstuhl-System gibt ihm ebenso Rätsel auf wie der Zweck zweier Einliegerwohnungen oder Widersprüche zwischen lautstarker Parterre-Nutzung und ruhebedürftiger Stadtbibliothek darüber; usw. usf.

Der Freund empfiehlt: „Die Gemeinderäte sollten mal die Baubeschreibung studieren. Damit sie wirklich wissen, wofür die Stadt 30 Jahre lang fünf Millionen Euro jährlich bezahlen wird.“ Fünf Millionen? „Unterhalt und Miete; Pi mal Daumen“, meint Walter trocken. Worauf ich mich frage, ob überhaupt schon jemand an die Folgekosten gedacht hat. Ich bin gewiss nicht gegen den Kulturbau, möchte aber keinesfalls erleben, dass er nach ein paar Jahren unter den Hammer kommt oder aus dem Stadttheater-Budget gesponsert werden muss. Das wär' zum Schuhe-Schmeißen.

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