Geiler Geiz ist ziemlich blöd
Quergedanken Nr. 13
Die Zeiten sind verwirrend. Liegt das an mir? Hänge ich zu sehr am Vertrauten, am Verlass? Bin ich zu unflexibel? Oder sind am Ende einfach die Zeiten selbst verworren? Mein Freund Walter …, Sie erinnern sich: Der grantelnde Typ, der am Schwerdonnerstag zu verschwinden und am Aschermittwoch wieder aufzutauchen pflegt. Mein Freund Walter also hat sich (nach öffentlich weiters besser nicht beschriebenen bukolischen Eskapaden), dem Sport zugewandt. „Früher“, sagt er, „hättest du stundenlang angestanden, um Karten für ein Fußball-WM-Spiel zu kaufen. Ware gegen Geld. Wenn Ware ausverkauft, dann eben ausverkauft – ein bisschen Frust, finito. Eine reelle Sache. Heute eierst du wochenlang durchs Internet, kriegst trotzdem keine WM-Karte, weil´s angeblich keine mehr gibt. Zugleich aber brüllen dir Gott und die Welt, Lotterie- und Telefongesellschaften, Limonade- und Autohersteller ins Ohr: WM-Tickets zu gewinnen!“ Walter tippt sich mit dem Zeigefinger mehrfach gegen die Stirn.
Er hat ja Recht. Es galt einmal die Philosophie, dass, wer es zu einem bescheidenen Auskommen bringen will, anständig arbeiten und vernünftig wirtschaften muss. Der Weg zu Reichtum ist das zwar nicht, wusste schon mein Großvater selig. Aber immerhin konnte auf diese Weise neben dem Nötigen eine Reise nach Italien und bisweilen ein Besuch im Theater oder auch bei Madam Brigittche abfallen. Der alte Herr kannte noch den Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz: Erstere nämlich zählt zu den Tugenden, wohingegen Letzterer eine ziemlich üble Sünde ist. Erstere schließt Großzügigkeit zur rechten Zeit ein, Letzterer angenehmen zwischenmenschlichen Umgang zumeist aus.
Glauben Sie nicht? Fragen Sie Brigitte, den Großvater oder die Frau Oberin in der Kneipe. Die werden bestätigen, woran es den geilen Geizigen vor allem mangelt: an Lebensfreude, an Sinnlichkeit, an Gelassenheit. Diese Krankheit brachte schon Heinrich Heine gegen seine Landsleute, insbesondere gegen „teutomanischen“ Geisteskinder und preußische Vollstrecker auf. Des Dichters hätte man sich am 17. Februar, seinem 150. Todestag, erinnern können. Verschwitzt? Nachholen! Binnen 30 Minuten haben Sie die kleine Ausstellung über Leben, Werk und Wirkung des schriftstellernden „Staatsfeindes“ in der Koblenzer Stadtbibliothek (Alte Burg) durch. Dann wissen Sie, dass dieser jüdisch-protestantische Atheist, Fürsten- und Knechttumsverächter mit seinem frechen Maul ein schöneres Deutschland besungen hat. Eines, das sich aus aufgeklärtem Geist, weltoffener Kultur und Lebensfreude definiert. Wie pflegt Freund Walter zu sagen: „Stell dir vor wie´s um Deutschland stünde ohne seine Nestbeschmutzer und Vaterlandsverräter!“ Deshalb sei hier ein „Vivat!“ auf unseren Heine nachgetragen – verbunden mit der Hoffnung, Heinrichs Denkart möchte nicht vollends aussterben.
Womit wir wieder in der Gegenwart wären und dabei, dass zum Geiz die Gier gehört. Auf der einen Seite kreischen die Sonderangebote, deren Zahl diejenige normaler Warenangebote inzwischen übersteigt. „Sonder“ ist wie gesagt geil, und „normal“ dem Vernehmen nach blöd. Was kümmert´s, wenn Verbraucherschützer und Warentester alle Jahre wieder vorrechnen, dass die geile Geizigkeit kaum mit Sparsamkeit, aber viel mit Blödheit zu tun hat. Auf der anderen Seite versprechen pestilenzartig sich vermehrende Verlosungsaktionen und Gewinnspiele das baldige Ende der alltäglichen Mühsal für jedermann. Total bekloppt muss sein, wer noch einen Urlaub bezahlt, ein Auto kauft, ein Haus selbst finanziert; deppert alle, die nicht längst ein paar hunderttausend Euro aus Lotteriegewinnen auf dem Konto haben – und sowieso gewonnene WM-Tickets im Sack.
Wer freilich nicht ans Glück glaubt, den sucht es auch nicht heim. Demzufolge kann Koblenz frohgemut in die Zukunft schauen, glaubt doch die Stadtführung fest daran, dass sich am Ende alle Lücken zu aller Zufriedenheit schließen werden – seien es die bei der Buga-Finanzierung oder die auf dem Zentralplatz. Glaube versetzt Berge, scheint die unlängst verkündete Rettung des Lahnsteiner Blues-Festivals beweisen zu wollen. Dazu wieder Walter: „Quatsch Glaube, die Blues-Bürger haben sich einfach auf die Hinterbeine gestellt.“ Also bestimmen nicht Glück und Glaube, sondern eigene Tüchtigkeit über des Menschen Geschick? Da verschluckt sich mein Freund am neuen dunklen Altstadt-Bier einer einschlägigen Koblenzer Haus- und Hofbrauerei. Auf die Hustenattacke folgt der Bescheid: „Für die Fortentwicklung der sozialen Gerechtigkeit wurde die Erfindung der Geschirrspülmaschine zum entscheidenden Hemmschuh. Denn: Sie entzog den Tellerwäschern dieser Erde die Grundlage, über die freie Bahn des Tüchtigen in die Klasse der Millionäre aufzusteigen.“ Sprach´s und ging vor die Tür, um nach dem Frühling Ausschau zu halten.