Bushs Fehler dürfen sich im Kampf gegen den IS nicht wiederholen
Nach den Anschlägen von Paris / Essay
ape. Eine Woche liegt die Mordorgie der Barbarenbewegung, die sich selbst Islamischer Staat (IS) nennt, in Paris zurück. Eine Bestandsaufnahme der seitherigen Flut von Nachrichten, Extraseiten, Sondersendungen, Talks und Äußerungen in den Netzwerken lässt drei Reaktions-Phasen erkennen. Da waren zuerst Entsetzen, Trauer, Solidarität mit den Franzosen und Abscheu gegenüber dem IS. Diese erste Phase war gekennzeichnet von großer Gemeinsamkeit in Frankreich, in Deutschland, in der westlichen Welt, in fast allen sich als zivilisiert verstehenden Ländern.
Die zweite Phase begann sich bereits am Abend der Pariser Ereignisse in die erste zu mischen. Sie lässt sich unter dem Schlagwort „Krieg” zusammenfassen. Der Angriff des Barbarismus auf ein internationales Fußballspiel, auf ein globalkultuerelles Rockkonzert, auf das sinnenfrohe, multikulturelle Abendleben von Paris wurde als Kriegserklärung an moderne, offene Lebensart generell gedeudet. Doch an der Frage, wie zu reagieren sei, scheiden sich seither die Geister. „Wir sind jetzt im Krieg und müssen die Terroristen mit Krieg bekämpfen”, sagen die einen. „Genau das hat George W. Bush nach 2001 gemacht, herausgekommen sind dabei der IS und noch mehr Terror”, warnen die anderen.
Die dritte Phase der Reaktionen erleben wir gerade: Aufrüstung der Sicherheitsmaßnahmen und explosionsartiges Anwachsen des Sicherheitsdenkens, auch in Deutschland. Dies verbunden mit gravierenden Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten, ja der gesamten freiheitlich-liberalen Lebensart. Auch hier gehen die Ansichten weit auseinander. Einerseits scheinen viele Menschen nun bereit, um der Sicherheit Willen erhebliche Einschränkungen der Freiheit in Kauf zu nehmen. Andererseits meinen viele, mit derartiger Selbstbeschränkung würden wir uns genau so verhalten, wie der IS provozieren will, dass wir uns verhalten. Die gesellschaftliche Klärung dieser Frage hat eben erst begonnen – muss aber stattfinden vor dem Hintergrund ad hoc sehr praktischen staatlichen Bemühens um den Schutz der Bürger.
Die mediale Szenerie ist emotional extrem aufgeheizt. Zeitungen, Fernsehen, Internet vibrieren im Daueralarmmodus; Warnungen, Ängste, Spekulationen werden bis ins letzte selbst irreale und belanglose Eckchen ausgeleuchtet; einige Akteure gießen mit apokalyptischen Fantastereien Öl ins Feuer der Befürchtungen. Das ist bei der Bewertung der Sachlage so wenig hilfreich wie bei der Diskussion um die divergierenden bis konträren Meinungsströmungen um Sicherheit versus Freiheit im Innern und Kriegseinsätze gegen die IS-Basisregion in der Ferne.
In Deutschland haben maßgebende Politiker aller Parteien diesseits der AfD, Sicherheitsfachleute, Kirchenführer und andere eindringlich gemahnt, die Terrorfrage auf keinen Fall mit der Flüchtlingsfrage zu vermengen. Dennoch lassen sich manche Politiker, Journalisten und Teile der Öffentlichkeit immer wieder hinreißen, diesen durch nichts zu begründenden Bogen zu schlagen. Die Erkenntnisse über die Täter von Paris bestätigen die Einschätzung: Die gut organisierten und vernetzten Terroristen haben es gar nicht nötig, von ihrer bisherigen Nutzung des normalen Luft-, Eisenbahn-, Straßenverkehrs plötzlich umzusteigen auf den wochenlangen, beschwerlichen und unberechenbaren Treck über die Balkanroute.
Die Angst vor einer terroristischen Infiltrierung im Schatten der Flüchtlingsströme ist irreal. Es sind im Gegenteil die Flüchtlinge quasi unsere natürlichen Verbündeten gegen den Barbarismus, denn vor ihm sind sie geflohen. Wer mutwillig anderes propagiert, läuft Gefahr, sich de facto zum Erfüllungsgehilfen des IS-Kalküls zu machen. Das zielt darauf ab, die innereuropäischen Widersprüche in der Flüchtlingsfrage kräftig tanzen zu lassen.
Was die eigentliche Diskussion ums Vorgehen gegen den IS angeht, so hat sie starke Schlagseite in Richtung „Krieg”. In Ton und Gebaren erinnert manches fatal an die US-Reaktionsmuster unter George W. Bush. Es ist nachvollziehbar, dass die französische und andere Regierungen Stärke zeigen und den IS wuchtig bekämpfen wollen. Doch Entschlossenheitserklärungen und der gebetsmühlenartig behauptete feste Wille, eine Unterminierung unserer Lebensweise durch die Barbaren nicht zuzulassen, können sich rasch als hohles Pathos erweisen. Ebenso kann blindwütiges Losstürmen und Herumschießen im Irak, in Syrien und Kurdistan sich schnell als opferreicher, aber militärisch wenig effektiver Aktionismus herausstellen.
Die Fixierung auf militärische Intervention von außen ließ Bush's „Krieg gegen den Terror” zum völlig kontraproduktiven Feldzug werden. Wir sollten diesen Fehler jetzt nicht wiederholen. Gleichwohl wird ohne bewaffneten Kampf – am Boden – der IS nicht kleinzukriegen sein. Die Soldaten dafür gibt es: kurdische Kämpfer, irakische Armee, syrische Armee und syrische Freischärler. Weshalb es in erster Linie politisch-diplomatischer Anstrengungen bedarf, um all jene Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die diese Kräfte derzeit hindern, gemeinsam den IS zu bekämpfen. Dann erst könnten auch alliierte Luftschläge richtige Wirkung entfalten: als taktische Unterstützung für Bodentruppen, die ihre Heimat von den IS-Barbaren befreien wollen.
Andreas Pecht