„Game of Drones” kennt kein Happy End

Jan-Christoph Gockels eindringliches Bühnenprojekt in Mainz

ape. Mainz. Oben pulsiert vergnügt der Weihnachtsmarkt. Viele Stufen unter dessen Höhenniveau wird in dunklem Raum eine Weltkarte an die Wand projiziert. Darauf Logos von US-Luftstreitkräften, verteilt über die Kontinente. Hervorgehoben sind Verbindungslinien zwischen den USA, Afghanistan/Pakistan und – Ramstein in Rheinland-Pfalz. In der Spielstätte U17 des Mainzer Staatstheaters, quasi dem „Tiefbunker” des Kleinen Hauses, sind wir mit dem strategischen Tableau des US-Drohnenkrieges konfrontiert. Das ist der Angelpunkt der Theaterproduktion „Ramstein Airbase: Game of Drones”.

Regisseur Jan-Christoph Gockel nennt den gemeinsam mit seinen drei Schauspielern entwickelten 90-Minuten-Abend nicht Stück, sondern Projekt. In dessen Rahmen werden Filmeinspieler und theatralische Sequenzen in halbdokumentarischer Weise verwoben. Bald scheinen weitere Verknüpfungen auf: mit der Vita des nahe der größten europäischen Drehscheibe des US-Militärs in der Pfalz aufgewachsenen Regisseurs; mit Brandon Bryant, jenem Soldaten, der es nicht mehr ertrug, von den USA aus per Joystick via Schaltzentrale in Ramstein Drohnenangriffe auf Menschen in Wasiristan auszuführen – der deshalb zum „Deserteur” und Whistleblower wurde.

Im Vorteil sind Zuseher, denen die TV-Serie „Game of Thrones” ein Begriff ist und die den Spielfilm „Eine Frage der Ehre” mit Tom Cruise als properem Militäranwalt versus Jack Nicolson als eisenhartem General kennen. Anleihen von beidem sind ebenfalls in dieses dramaturgische Netzwerk geflochten, das typisch ist für die Arbeitsweise Gockels. Herausgekommen ist politisch engagiertes Theater, das die Finger in schwärende Wunden auch deutscher Mitverantwortung für das anonyme Töten durch US-Drohnen legt.

Solches Theater mag nicht die höchste Bühnenkunst sein, deswegen nicht allseits geliebt. Aber es ist gute Theatertradition, auch mit diesem Mittel gegenüber je aktuellem Geschehen Position zu beziehen. Wobei Mainz nie die Grenze zum Agitprop überschreitet, sondern die Auswirkung der Ereignisse auf die Menschen ins Zentrum stellt. Träger des erzählerischen roten Fadens sind ein junger Menschenrechtsanwalt aus der Pfalz sowie ein Soldat, der als aufrechter Jon Snow aus besagter Fantasieserie die fast leere Bühne betritt, dort zum Drohnenlenker Bryant wird.

Sebastian Brandes formt den Anwalt formidabel als Bürschlein, das mal zornig, mal mit satirischer Lakonie, mal träumend vom kleinen Justizhelden wider die Mächtigen die Verteidigung Bryants vorbereitet. Tagesschau-Bilder erhellen: Der Anwalt ist aufgewachsen mit dem furchtbaren Ergebnis militärischer Glanz- und Gloria-Sucht beim Ramsteiner Flugschauunglück 1988, mit den Anschlägen von 11. September 2001, mit dem verlogenen Irak-Krieg ...

Während er Fakten, Fakten, Fakten über die Drohneneinsätze ausbreitet, brummt, kreischt, vibriert über den Köpfen des Publikums plötzlich eine echte Minidrohne. Der Ton ist hässlich, das Gefühl ungut, der Gedanke an vielfach größere Flugmaschinen mit wirkmächtiger Raketenbewaffnung entsetzlich. Dazu wieder ein Faktum: Um 14 vermeintliche, von keinem Gericht verurteile Terroristen im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan zu töten, sterben unter Drohnenbeschuss weit über 1000 Unschuldige.

Denis Larisch spielt Bryant als sich schuldig fühlenden, seelisch ausgehöhlten Ex-Soldaten. Er hatte von anonymer Stelle Tötungsbefehle in seinen kalifornischen Container erhalten, hatte sie per Internet via Ramstein über tausende Kilometer hinweg vollstreckt – und war daran kaputt gegangen. Jetzt klärt er auf und klagt an, wie das der echte Bryant im Oktober bei einem Gespräch mit Gockel in Mainz tat. Videomitschnitte davon dienen als Hintergrund für die Anklage gegen das US-Militär jetzt auf der Bühne. Das wird symbolisiert von Seniorschauspielerin Monika Dortschy im Outfit der jungen Marylin Monroe. Sie schlüpft in die Generalsrolle von Jack Nicholson, und wird in wörtlichem Nachspielen der großen Gerichtsszene aus „Eine Frage der Ehre” der Verbrechen gegen die Menschlichkeit überführt.

Happy End? Nein. Das letzte Wort hat der echte Bryant: „Keiner der Verantwortlichen für das Drohnenprogramm wurde je angeklagt.”
              
Andreas Pecht

 

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